ROMANA EXKLUSIV Band 0173
Blut und Schweiß. Das Hauptgebäude stammt aus dieser Zeit. Jede nachfolgende Generation hat einen Trakt hinzugefügt, und jetzt ist es eigentlich mehr ein Oktopus als ein Haus. Komm mit, bestimmt erwartet uns Dominique schon.“
Er führte sie zum Eingang und öffnete die mächtigen Türen so mühelos, als wären sie aus Pappe und nicht aus zwanzig Zentimeter dickem Holz. Im Inneren herrschte angenehme Kühle und Stille. Der Steinboden der Halle war während der Jahrhunderte blank gescheuert worden. Lange Korridore zweigten in alle Richtungen ab. Staunend schaute Anna sich um, bevor ein lebensgroßes Porträt an einer Wand ihre Aufmerksamkeit fesselte.
Ihr stockte der Atem. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück und stieß mit Sebastian zusammen. Er legte die Hände auf ihre Schultern und zog sie an sich. Seine Wärme hatte etwas ungemein Tröstliches.
„Was ist denn?“
„Das Bild“, wisperte sie erschrocken. Es war Sebastian. Der Sebastian eines vergangenen Jahrhunderts. Jener Sebastian, den sie in ihren drogenumnebelten Visionen gesehen hatte. „Das bist du.“
Er lachte leise. „Nicht ganz. Es ist mein Vorfahr Nicholas Kane.“
Ungläubig studierte sie das Gemälde. „Die Ähnlichkeit ist frappierend.“
Noch bemerkenswerter war allerdings die Tatsache, dass auch das kleinste Detail mit ihrem Traum übereinstimmte. Nicholas stand an Deck eines Schiffes, im Hintergrund erhob Rochefort sich aus dem Meer. Das Haar fiel ihm in dichten Locken auf die Schultern und wurde nur notdürftig von einem roten Stirnband gebändigt. Es fehlte nur noch die sprichwörtliche schwarze Augenklappe, denn in der Hand hielt er ein Entermesser. Die Waffe faszinierte Anna ebenso wie sein wilder Gesichtsausdruck – unbekümmert, kühn und voller Entschlossenheit.
Sie schluckte trocken. „Er ist …“
„Ein Seeräuber.“ Sebastian klang amüsiert. „Ja, ich weiß.“
Wieder fügten sich einige Teile des Puzzles zusammen: die Halluzination im Krankenhaus, Sebastians Behauptung, ein Pirat zu sein, die Notwendigkeit, einen „Hinterausgang“, auf der Insel zu haben … Rochefort war von Freibeutern besiedelt gewesen! Anna fand diese Vorstellung äußerst aufregend.
Aber es gab noch etwas anderes, das ihr weitaus mehr zu schaffen machte …
Es bestand nicht der leiseste Zweifel mehr an ihrer Ehe. Sie war schon einmal hier gewesen. Das Bild bewies es. Egal wie unbehaglich ihr der Gedanke auch sein mochte, Sebastian war ihr Mann. „Das meintest du also, als du sagtest, du seist ein Pirat.“
„Sein Blut fließt in meinen Adern.“ Er drehte sie zu sich um, sodass sie ihn ansehen musste. Die schmale Narbe leuchtete weiß auf seiner Wange. „Und in den Adern unserer Kinder wird es ebenfalls fließen.“
„Unserer Kinder?“, wiederholte sie beklommen.
Er legte die Hand auf ihren flachen Bauch. „Du könntest bereits schwanger sein.“
Kopfschüttelnd schob sie seine Finger fort. „Nein, das ist ausgeschlossen.“
Sebastian zog die Brauen hoch. „Bist du sicher?“
Bin ich sicher?, fragte sie sich schockiert. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt miteinander geschlafen hatten oder wie ihr Zyklus verlief. Ehe sie über diese verblüffende Möglichkeit weiter nachdenken konnte, erschien eine Frau in der Halle.
Sie war atemberaubend schön, groß und elegant. Ihrem karibischen, afrikanischen und europäischen Blut verdankte sie die mandelförmigen braunen Augen und den cremefarbenen Teint. „Ich habe das Knattern des Jeeps gehört“, erklärte sie lächelnd. „Willkommen daheim, Miss Anna. Es ist schön, dass Sie wieder da sind, wo Sie hingehören.“
„Anna, das ist Dominique“, stellte Sebastian die Fremde vor. „Unsere Haushälterin.“
Anna trat einen Schritt vor und streckte die Hand aus. „Sie müssen mir verzeihen, wenn ich mich nicht an Sie erinnere. Ich fürchte, mein Gedächtnis hat ein wenig unter dem Unfall gelitten.“
Die Haushälterin nickte. „Mr. Sebastian hat mir davon erzählt. Machen Sie sich keine Sorgen, Miss. Ein paar Tage Ruhe und gutes Essen werden Sie wieder auf die Beine bringen. Sie werden schon sehen.“
„Ist das Gepäck schon eingetroffen?“
„Nein. Josie hat vom Boot aus angerufen. Sie müssten aber bald hier sein, denn sie wollten noch vor dem Sturm in den Hafen einlaufen.“ Sie kicherte leise. „Das wird heute Nacht ein ziemliches Unwetter geben.“
Anna erschauerte. „Wird es so schlimm?“
Dominique lächelte sie aufmunternd an.
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