ROMANA EXKLUSIV Band 0173
den weiß gekalkten Wänden. Staubflocken wirbelten durch die Luft. Sebastian folgte ihr dichtauf, bereit, sie jederzeit aufzufangen, falls sie straucheln sollte. Seine überwältigende Nähe raubte ihr ebenso den Atem wie die schier endlose Treppe. Keuchend erreichte sie den Fuß der Leiter, die auf die obere Plattform führte.
Anna stemmte sich durch die enge Luke. Nachdem sie sich aufgerichtet hatte, klopfte sie sich die Schmutzspuren vom Rock und hob ihr Haar im Nacken an. Kaum hatte sie jedoch einen Blick auf ihre Umgebung geworfen, war alle Mühe vergessen. Sie hatte noch nie etwas so Schönes gesehen. Überwältigt lehnte sie sich an die Brüstung.
„Oh Sebastian.“ Sie seufzte.
„Ich sagte dir ja, dass sich der Aufstieg lohnt.“
Sie erkannte die gewundene Straße, die sie auf dem Weg zum Haus genommen hatten. Mit ihren vielen Kurven glich sie einem breiten Band, das achtlos über den Regenwald geworfen worden war. Direkt unter ihnen erstreckte sich einladend der sonnengebleichte Strand. Mit jeder anlandenden Welle bildeten sich neue bizarre Muster auf dem Vulkansand. Der dunkelblaue Ozean umtoste die Klippen, die die idyllische Lagune schützten. Weiter draußen schimmerte das Meer kristallklar. Weit und breit war kein Schiff zu sehen.
„Es ist wirklich fantastisch. Danke, dass du mich hergebracht hast.“ Anna wandte sich zu Sebastian um. „Jetzt begreife ich, warum Nicholas den Turm gebaut hat. Es ist die perfekte Verteidigung. Jeder, der sich auf dieser Seite der Insel zu nähern versucht, würde sofort entdeckt werden. Aber was, wenn sie von der anderen Seite angegriffen wurden?“
„Als Nicholas hier siedelte, ließ er eine ganze Reihe dieser Türme errichten.“ Er deutete auf eine Kette, die neben ihr an einem Pfosten hing. „Sie waren alle mit seinen Leuten besetzt. Sobald Feinde auftauchten, wurde die Alarmglocke geläutet, um die Festung und das Dorf zu warnen.“
„Aber ihr Klang hat doch gewiss nicht bis zum Dorf gereicht.“
„Das war auch nicht nötig. Man musste sie immer nur bis zum nächsten Wachturm hören. Das Signal wurde dann über die ganze Insel getragen. Nicholas entwickelte sogar einen eigenen Code, eine bestimmte Tonfolge, mit der seine Männer Informationen über die Art der Gefahr und Ähnliches weitergeben konnten.“
„Ein überaus effektives System“, meinte sie beeindruckt.
„Ja. Potenzielle Invasoren wurden dadurch nachhaltig abgeschreckt. Rochefort ist nie in fremde Hände gefallen.“
Das erinnerte sie an etwas … „Wie hat Dominique die Insel bezeichnet? Es war nicht Rochefort.“
„Rocher Interdit. So lautete der ursprüngliche Name, als Nicholas sich hier niederließ. Die Insulaner benutzen ihn heute noch.“
„Was bedeutet er?“
„Verbotener Felsen.“
Anne erschauerte. Der Name erschien ihr insgeheim viel passender als der gegenwärtige. „Warum hat Nicholas ihn geändert?“
„Das war nicht seine Idee, sondern die seiner Nachfahren. Sie fanden, ein weniger kriegerischer Name würde ihnen helfen.“
„Wobei?“
„Die größeren Inseln wurden von den Franzosen und Engländern erbittert umkämpft. Und obwohl wir längst wieder auf den Pfad der Tugend zurückgekehrt waren, fürchtete die Familie, dass ihre Ansprüche auf Rochefort nicht anerkannt würden. Also unterstützten sie das britische Empire und halfen ihm, die Franzosen zu schlagen. Als Belohnung wurde die Insel offiziell den Kanes übereignet.“
„Sie haben sich mit den Engländern verbündet?“, fragte sie verwirrt. „Und trotzdem ist der Name der Insel französisch?“
Sebastian zuckte die Schultern. „In unseren Adern fließt das Blut vieler Nationen. Nicholas’ Mutter war Französin, während seine Frau eine Herzogin war, die er von einem gekaperten englischen Schiff entführt hatte. Selbst als man ihm ein Vermögen als Lösegeld bot, hat er sich geweigert, sie gehen zu lassen.“
„Vielleicht wollte sie auch gar nicht von ihm fort“, warf Anna ein. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, weshalb die Herzogin geblieben war. Trotz ihrer Unerbittlichkeit besaßen die Männer der Kanes eine starke Anziehungskraft, der man einfach nicht widerstehen konnte.
„Da könntest du recht haben. Ihre Tagebücher beweisen, dass sie eine stürmische Liebe miteinander verband. Nicholas’ Sohn hat eine ebenso gute Wahl getroffen und eine Spanierin geheiratet, sein Enkel hingegen bevorzugte eine portugiesische Schönheit.“
„Und du?“
Er wurde wieder ernst. „Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher