Romana Extra Band 1
zu sprechen. „Es ist so lange her, dass es mir manchmal beinahe schon unwirklich vorkommt. Ich war noch ein halbes Kind, als ich Diego zum ersten Mal begegnete – aber meine Gefühle für ihn erkannte ich erst sehr viel später. Wir waren beide siebzehn, und das Leben kam uns wie ein endloses Abenteuer vor.“
„Aber so blieb es nicht?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Seine Eltern waren gegen unsere Liebe. Ich weiß nicht, ob dir der Name Gonzáles ein Begriff ist. Damals waren sie hier in der Gegend einflussreiche Leute. Für ihren einzigen Sohn hatten sie sich etwas anderes vorgestellt als die Tochter eines Ausländers, der die eine Hälfte des Tages damit verbrachte, sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken.“
Luís spürte, dass sie die Geschichte im Grunde nicht für ihn erzählte, sondern vielmehr für sich selbst. Vermutlich hatte sie sich noch nie jemandem anvertraut. Beth gehörte zu den Menschen, denen andere ihr Herz ausschütteten. Sie selbst schreckte eher davor zurück, jemanden mit ihren Sorgen zu belasten. Er kannte dieses Verhalten deshalb so gut, weil er selbst dazu neigte. Seiner Erfahrung nach wurden Personen, die über große Empathie für die Nöte anderer verfügten, oft als seelischer Mülleimer missbraucht, während sie ihre eigenen Bedürfnisse permanent zurückstellten. Doch irgendwann wurde der Druck zu groß, und man suchte sich ein Ventil. Bei Beth schien es jetzt so weit zu sein.
„Diego und ich ließen uns natürlich von den Erwachsenen nicht hineinreden. Schließlich liebten wir uns, und somit konnte uns nichts und niemand etwas anhaben. Zumindest dachten wir das – doch wir hatten die Rechnung ohne Diegos Mutter gemacht.“ Ein bitteres Lächeln umspielte Beths Mundwinkel. „Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Paola Gonzáles mich hasste. Ihr war jedes Mittel recht, ihren Sohn und mich auseinanderzubringen. Ich sah es, wenn ich ihr in die Augen blickte. Sie musterte mich, als sei ich ein gefährliches Insekt, das es zu zerquetschen galt. Ich weiß nicht, wie viele Gemeinheiten sie sich einfallen ließ, ehe Diego und ich zu dem Schluss kamen, dass wir keine Chance hatten, solange wir in Estellencs blieben. Aber wir wussten auch, dass seine Eltern uns nicht einfach gehen lassen würden. Wir mussten uns also in aller Heimlichkeit davonmachen.“ Wieder nahm ihre Miene einen seltsam abwesenden Ausdruck an. „Ich überließ es Diego, unsere Flucht vorzubereiten. Selbst jetzt frage ich mich manchmal noch, ob ich die Katastrophe hätte verhindern können. Doch was hilft es? Was geschehen ist, ist geschehen.“
„Was ist passiert?“, fragte Luís, obwohl er es bereits ahnte.
„Diego wies mich an, außerhalb der Ortschaft auf ihn zu warten. Ich wusste nicht, dass er vorhatte, den Wagen seines Vaters zu nehmen. Ihm muss klar gewesen sein, dass ich mit einem Diebstahl niemals einverstanden gewesen wäre, deshalb hat er mir nichts gesagt. Also wartete ich – mehr als zwei Stunden –, doch er tauchte nicht auf. Ich versuchte, ihn auf seinem Handy zu erreichen – vergeblich. Da fing ich an, mir Sorgen zu machen. Zu Recht.“ Luís sah die Tränen, die in ihren Augen schimmerten. „Er hatte keinen Führerschein, und seine einzige Fahrpraxis bestand darin, ab und an auf dem Grundstück seiner Eltern ein paar Runden zu drehen. Er kam etwas mehr als einen Kilometer weit, als er zu weit auf die Gegenfahrbahn geriet und einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen musste. Diego verlor die Kontrolle über das Auto, kam von der Straße ab und stürzte über die Klippen hinab in die Tiefe.“ Sie atmete tief durch. „Seine Eltern gaben mir die Schuld an dem Unglück. Sie machten mir das Leben in Estellencs zur Hölle, bis ich es schließlich nicht mehr aushielt. Ich ging nach London, um dort neu anzufangen. Doch alles ging schief, ich fiel einer gemeinen Verleumdung zum Opfer, und so landete ich schließlich bei Lyle Beckham. Nach Estellencs kehrte ich nur noch einmal zurück – zur Beerdigung meines Vaters, mit dem ich mich wegen seiner ewigen Trinkerei schon zerstritten hatte, bevor ich Mallorca verließ. Dann passierte dieser schreckliche Unfall, bei dem Lindy schwer verletzt wurde und für den ich mich mitverantwortlich fühlte. Ich arbeitete immer härter, um genug Geld zu verdienen, damit Lindy die bestmögliche Behandlung erhielt. Doch wie es aussieht, ist damit bald Schluss, denn mein Boss wird mich eiskalt feuern, wenn ich es nicht schaffe, dich zum
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