Romana Extra Band 6
Mauerblümchen.“
Damals hatten Sandrines Worte sie tief getroffen. Vor allem, da sie im Grunde ihres Herzens wusste, dass ihre Mutter recht hatte. Wenn Rosalie in den Spiegel blickte, dann sah sie eine hübsche junge Frau mit zarter, zierlicher Figur und blassem, fast schon durchscheinend wirkendem Teint, nicht mehr und nicht weniger. Es waren die Fähigkeiten der Friseure und Visagisten, die aus ihr schließlich die Person machten, die die Designer sehen wollten. Rosalie Twinstead, das Model.
Sie war halbwegs erfolgreich und – zumindest in der Branche – auch einigermaßen bekannt. Doch mit ihrer Mutter, die für alle berühmten Modehäuser in Europa und Übersee gearbeitet hatte, die von allen hofiert und bewundert worden war, konnte sie sich nicht annähernd messen. Und sie wusste sicher, dass Sandrine darüber stets ein wenig enttäuscht gewesen war. Doch so sehr Rosalie sich auch bemüht hatte, es war ihr einfach nicht gelungen, die himmelhohen Erwartungen ihrer Mutter zu erfüllen. Und nun war Sandrine tot, und es würde ihr niemals gelingen, sie zufriedenzustellen.
Niemals …
„Du siehst wunderschön aus – und ein wenig traurig. Willst du darüber reden?“
Adriennes Stimme riss Rosalie aus ihren Grübeleien. Sie blinzelte energisch, um sich in die Realität zurückzuholen. Ihr Spiegelbild blickte ihr mit ernster Miene entgegen. Ja, sie sah tatsächlich ziemlich unglücklich aus. Warum, das konnte sie selbst nicht mit Sicherheit sagen. Vermutlich gab es Tausende von Gründen: Sandrine, ihr Großvater, die Roseraie Baillet …
Kurz überlegte sie, ob sie Adrienne nach dem Streit zwischen ihrer Mutter und ihrem grand-père fragen sollte, entschied sich aber dagegen. Colbert würde jeden Augenblick kommen, und dies war kein Thema, das sie zwischen Tür und Angel abhandeln wollte.
Sie schüttelte den Kopf und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. „ Merci, mais non – vielen Dank, aber nein. Damit muss ich allein fertig werden.“
„Dieser Monsieur Colbert wird Augen machen, wenn er dich so sieht“, wechselte Adrienne abrupt das Thema. „Er soll ein ziemlich gut aussehender Mann sein. Das hat François zumindest behauptet, der sich vor ein paar Monaten schon einmal mit ihm getroffen hat.“
„Er sieht nicht schlecht aus“, entgegnete Rosalie ausweichend. „Aber so unwiderstehlich ist er auch nun wieder nicht. Auch wenn er das wahrscheinlich selbst glaubt.“
Dieser Satz war ihr einfach so herausgerutscht, ehe sie es verhindern konnte. Sie errötete, als Adrienne lachte. „Er gefällt dir also.“
„Nein!“, widersprach Rosalie sofort. „Er ist …“ Atemberaubend attraktiv? Unglaublich anziehend? Bemerkenswert männlich? „Laurent Colbert ist einfach nur ein Mann, der seine eigene Wirkung auf Frauen gnadenlos überschätzt.“
Adrienne schmunzelte. „Ist das so? Nun, den Mann, der dich so beeindruckt hat, würde ich gern einmal kennenlernen.“
„Er hat mich nicht …“ Sie schluckte ihren Protest herunter – es war ohnehin klar, dass Adrienne sie durchschaut hatte. Seufzend fuhr sie sich durchs Haar. „Ach, ich weiß ja selbst nicht, was im Augenblick mit mir los ist!“
„Das kann ich dir sagen“, erwiderte Adrienne. „Du bist einfach nur vollkommen überfordert mit der Situation und brauchst dringend etwas Abwechslung. Und genau deshalb wirst du heute Abend auch ausgehen und dich einfach nur amüsieren, haben wir uns verstanden?“
Rosalie lagen tausend Erwiderungen auf der Zunge – dass das Dinner mit Colbert rein geschäftlicher Natur war und dass sie ganz sicher nicht vorhatte, sich zu amüsieren –, doch sie sprach keine davon aus. Es hätte ohnehin nichts gebracht, denn in diesem Moment klingelte es auch schon.
„Ich gehe zur Tür“, erklärte Adrienne mit einem wissenden Lächeln. „Mach du dich in Ruhe fertig – ich fühle in der Zwischenzeit deinem Verehrer auf den Zahn.“
„Er ist nicht …!“
Die ältere Frau winkte ab. „Wie auch immer – ich mache Monsieur Colbert jetzt besser auf. Du entschuldigst mich?“
Es dauerte keine zwei Minuten, bis jemand an ihre Zimmertür klopfte. „Mademoiselle Twinstead? Sind Sie so weit?“
Rosalie atmete tief durch und zwang sich, ruhig zu bleiben. Es ist nur ein Geschäftsessen, sagte sie zu sich selbst. Doch wenn dem so war, warum fühlte sie sich dann, als würden ganze Schwärme von Schmetterlingen durch ihren Bauch flattern?
Reiß dich zusammen! Du bist nicht nach Frankreich gekommen, um
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