Romana Extra Band 6
unter dem Namen La Belle.“
Er blinzelte überrascht. „Deine Mutter war La Belle? Natürlich kenne ich sie! Eine Zeit lang zierte ihr Gesicht das Cover von so ziemlich jedem Hochglanzmagazin.“
Rosalie fühlte, wie er sie abschätzend musterte. Sie war daran gewöhnt. Alle Leute taten das, wenn sie von ihrer berühmten Mutter erfuhren. „Ich weiß“, sagte sie, bemüht, alle Bitterkeit aus ihrer Stimme zu halten, „ich sehe ihr nicht besonders ähnlich. Manchmal kommt es vor, dass ich für einen Job gebucht werde, weil die Auftraggeber annehmen, dass sie für ihr Geld eine zweite, jüngere La Belle bekommen.“ Sie verzog das Gesicht. „Du kannst dir sicher vorstellen, dass es eine ziemliche Enttäuschung für sie ist, wenn sie die Wahrheit erkennen.“
„Non!“ , entgegnete er energisch. „ Absolument non! Ja, ich kenne deine Mutter, und ich muss eingestehen, dass mir eine Familienähnlichkeit nicht gleich auf Anhieb ins Auge gefallen ist. Aber das heißt keinesfalls, dass du weniger schön oder anziehend bist als sie.“ Als sie ihn überrascht anschaute, sprach er weiter, den Blick auf die Fahrbahn gerichtet: „La Belle war Perfektion in Fleisch und Blut, mit idealen Maßen, vollendeter Eleganz und einem Gesicht, das eher zu einer griechischen Göttinnenbüste zu gehören schien als zu einem lebendigen Menschen.“
Rosalie nickte. Seine Beschreibung brachte es genau auf den Punkt. Sandrine war wie ein Wesen aus einer anderen Welt gewesen – wunderschön, unnahbar, ätherisch und kühl. Und diese Kühle hatte sie nicht nur verströmt, wenn sie vor der Kamera stand, sondern auch im Umgang mit anderen Menschen. Sie war das Zentrum ihres ganz eigenen Universums gewesen, in dem sich alles nur um sie drehte.
Deshalb hatte es Rosalie auch nie gelingen können, sie zufriedenzustellen. Weil es für Sandrine immer nur einen Maßstab gab, an dem sie andere maß – sich selbst. Doch ihre Mutter war nicht das Thema, über das sie mit Laurent eigentlich sprechen wollte.
„Jedenfalls fand ich es als kleines Mädchen nicht schlimm, dass ich bei meinem grand-père wohnen sollte. Meine Mutter war ohnehin die meiste Zeit unterwegs, sodass ich in der Obhut von Kindermädchen und Babysittern zurückblieb.“ Ein versonnenes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Es war im Grunde ganz schön, einmal jemanden zu haben, der immer für einen da war. Der zuhörte und sich kümmerte.“
„Aber es blieb nicht immer so.“
„Nein“, erwiderte sie traurig. „Seltsam, oder? Ich kann mich so gut daran erinnern, als wäre es erst gestern passiert und nicht vor über zehn Jahren. Es war nach meinem dreizehnten Geburtstag. Ich kam aus der Schule nach Hause – ich weiß noch, dass ich eine Eins in einem Vokabeltest bekommen hatte und darauf brannte, die freudige Nachricht meinem Großvater zu verkünden –, und traf dort zu meiner Überraschung meine Mutter an.“ Obwohl es nicht kalt war, fröstelte Rosalie leicht und legte schützend die Arme um ihren Oberkörper. „Es kam nicht gerade häufig vor, dass sie uns besuchte, daher wusste ich nicht recht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht. Meine Mutter war für mich zu einer Fremden geworden. Nie hätte ich damit gerechnet, dass sie mich einfach mitnehmen könnte.“
„Aber genau das tat sie“, schlussfolgerte Laurent, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. „Sie nahm dich mit.“
Rosalie nickte. Mehr und mehr fühlte sie sich wie in eine leichte Trance versetzt. Körperlich war sie hier, saß neben Laurent in dessen Wagen, doch in Gedanken durchlebte sie noch einmal die schwersten Momente ihrer Kindheit, so als wäre sie wieder dreizehn Jahre alt …
„Maman?“ Die dreizehnjährige Rosalie blinzelte überrascht, als sie die Küche betrat und ihre Mutter am Esstisch sitzend vorfand, vor sich eine Tasse Kaffee, die sie nicht einmal angerührt zu haben schien.
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht so nennen sollst?“, knurrte Sandrine unleidlich und schüttelte den Kopf. „Na ja, darüber unterhalten wir uns später. Jetzt pack erst mal deine Sachen zusammen, damit wir endlich von hier verschwinden können.“
„Was?“ Die Worte ihrer Mutter rissen ihr den Boden unter den Füßen weg. „Aber … Wo ist grand-père ? Warum ist er nicht hier?“
Sandrine lachte laut auf. „Dein Großvater hat es vorgezogen, sich aus dem Staub zu machen. Du solltest dich lieber nicht darauf verlassen, dass er kommt, um sich von dir zu
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