Romana Extra Band 6
Gelegenheit haben.“
Michael fuhr bereits am Samstagnachmittag mit seiner Tochter nach Cielo del Norte.
Die Fahrt verlief ereignislos. Estavan Fuentes, der Hausmeister des Schlosses, erwartete sie bereits und brachte ihr Gepäck auf die Zimmer, während seine Frau Caridad, die Haushälterin, ein leckeres Abendessen servierte, das Michael bei einem Glas Rotwein genoss. Es war die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm.
Stunden später, es war kurz nach Mitternacht, trat er erschöpft auf die Terrasse hinaus und seufzte tief – das einzige Geräusch außer dem der Wellen, die an den Strand schlugen. Einen Moment lang genoss er die Stille, dann setzte er sich auf das Fußende einer Liege, legte den Kopf in den Nacken und bewunderte die Sterne, die wie winzige Diamanten am nachtschwarzen Himmel funkelten.
Als die Terrassentür erneut geöffnet wurde, zuckte er zusammen.
„Keine Angst, sie schläft jetzt“, beruhigte ihn seine Schwester.
„Solltest du nicht auch ins Bett gehen? Du willst doch morgen zeitig in die Stadt zurück.“
„Gleich. Die Sterne haben nach mir gerufen“, erklärte Marissa.
Das hatte sein Vater auch immer behauptet, wenn Michael ihn spätabends auf der Terrasse angetroffen hatte. Noch heute erinnerte er sich gern an die alljährlichen Familienferien in Cielo del Norte – bis zum Tod seines Vaters. Anschließend hatte seine Mutter die Tradition noch eine Weile aufrechterhalten, aber es war nie wieder so wie zuvor.
Sein Vater Gaetan Leandres war ein leidenschaftlicher Hobbyastronom gewesen und hatte seine Kinder an seinem umfangreichen Wissen teilhaben lassen. Drohten Sorgen ihn zu überwältigen, hatte er zum Himmel emporgeblickt und Trost in dem Gedanken gefunden, wie unbedeutend seine Probleme angesichts der Unendlichkeit des Weltalls waren.
Marissa setzte sich Michael gegenüber auf eine Liege und blickte ebenfalls in den Himmel. „Von hier aus wirken die Sterne viel heller als von der Stadt aus.“
„Wieso bleibst du nicht für ein paar Tage bei uns?“
„Ich habe diese Woche wichtige Termine.“
„Das hättest du mir sagen sollen, als ich dich am Telefon um deine Hilfe gebeten habe.“
„Riley hat im Hintergrund geschluchzt. Wie hätte ich da ablehnen können?“
Tatsächlich war seine Tochter der Grund für Marissas Anwesenheit: Die Kleine war nach der langen Autofahrt früher als üblich eingeschlafen und wenige Stunden später laut weinend aufgewacht. Es war ihm nicht gelungen, sie zu beruhigen. Sie war in einem fremden Bett aus dem Schlaf geschreckt und hatte Brigitte vermisst. Er hatte sie im Arm gewiegt, leise Musik aufgelegt, ihr etwas vorgelesen, aber nichts hatte geholfen.
Seine Mutter anzurufen, war ihm gar nicht erst in den Sinn gekommen. Die Kronprinzessin zeichnete sich nicht durch Mütterlichkeit aus, dafür beherrschte sie wie keine andere die Kunst der Intrige. In seiner Not hatte er sich an seine Schwester gewandt.
„Wäre es besser gewesen, mit Riley in Port Augustine zu bleiben?“, überlegte Michael jetzt laut.
„Das hätte mir die weite Anreise erspart“, scherzte Marissa. „Aber nein. Ich bin froh, dass du die Familientradition weiterführst. Wann kommt das neue Kindermädchen?“
„Morgen …“
Sie warf ihm einen forschenden Blick zu. „Du klingst skeptisch. Bereust du, sie eingestellt zu haben?“
„Das nicht. Oder doch?“ Hannahs Lebenslauf ließ nichts zu wünschen übrig, dennoch war Michael nicht überzeugt, dass sie als Lehrerin seine Tochter optimal betreuen konnte.
„Nein“, legte er sich schließlich fest. „Dr. Marotta hätte sie mir niemals empfohlen, wenn er sie nicht für kompetent hielte.“
„Bestimmt nicht. Was sonst macht dir Sorgen?“
Wieder schwieg er eine Weile. Dass Hannah Castillo ihm seit ihrer Begegnung nicht mehr aus dem Sinn ging, konnte er seiner Schwester kaum anvertrauen.
Ursprünglich hatte er keine großen Erwartungen an das Vorstellungsgespräch geknüpft. Er hatte nichts weiter als eine nette Frau gesucht, die bereit war, sich während der Sommermonate um seine Tochter zu kümmern. Das hatte sich jedoch als schwieriger erwiesen als erwartet.
Etwa die Hälfte der Bewerberinnen hatte er wegen ihres Alters abgelehnt – zu sehr hatten sie ihn an die strengen grauhaarigen Zuchtmeisterinnen aus seiner Kindheit erinnert. Andere waren nicht infrage gekommen, weil sie offensichtlich mehr an ihm interessiert waren als an seiner Tochter. Zweien hatte er die Tür gewiesen, nachdem man sie beim
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