Romana Extra Band 6
sich zurück. Im Flur begegnete sie der Klavierlehrerin, einer älteren Dame, die zielstrebig zum Musikzimmer eilte.
Sie weiß wenigstens, was sie zu tun hat, ich dagegen muss meine Aufgabe erst noch herausfinden, dachte Hannah bedrückt.
Die Telefonkonferenz, die Michael verschoben hatte, begann um elf und endete zwanzig Minuten später. Gleich darauf kreisten seine Gedanken wieder um Hannah.
Er war Dr. Marottas Empfehlung bedenkenlos gefolgt, da er ihm vertraute und als selbstverständlich voraussetzte, dass sie als Lehrerin Erfahrung im Umgang mit kleinen Kindern hatte. Ich hätte ihn näher befragen müssen, schalt er sich.
Bestimmt hatte Dr. Marotta gute Gründe dafür gehabt, ihm seine Nichte zu empfehlen. Zudem hatte Brigitte den Eindruck gewonnen, dass Riley sie akzeptierte.
Aber warum war er dann so nervös? Machte er sich Sorgen um Riley – oder um sich selbst?
Am Anfang hatte er geglaubt, den Tod seiner Frau nie zu verwinden. Dass der Schmerz sich im Lauf der Jahre allmählich abgeschwächt hatte, war Riley zu verdanken. Ihre Liebe genügte ihm für den Rest seines Lebens, davon war Michael überzeugt. Ihm fehlten weder die Gesellschaft einer Frau noch Romantik – so hatte er gedacht, bis Hannah in sein Leben getreten war …
Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.
„Das Mittagessen wird auf der Terrasse serviert, sobald Sie es wünschen“, kündigte Caridad an.
Überrascht sah er auf die Uhr. Seit der Telefonkonferenz waren eineinhalb Stunden vergangen. Anscheinend habe auch ich Urlaub nötig, dachte er.
Als die Haushälterin sich mit einem Knicks verabschiedete, hielt er sie zurück. „Was halten Sie von Miss Castillo?“
„Wir haben nur kurz miteinander gesprochen. Ich hatte sie mir anders vorgestellt.“
„Inwiefern?“
„Sie ist sehr jung … und hübsch.“
Hannah war vermutlich etwas älter als die vierundzwanzigjährige Brigitte, aber er verstand, was Caridad meinte. Brigitte war stets konservativ gekleidet und trat nicht so freimütig auf wie die Nichte des Arztes.
Obwohl Hannah ihre natürlichen Reize nicht betonte, versprühte sie eine Energie, die es unmöglich machte, sie zu übersehen.
„Andererseits steht nicht zu befürchten, dass ihr Alter oder ihr Aussehen ihre Leistungen schmälern“, fügte die Haushälterin rasch hinzu.
Das Problem ist eher ihre mangelnde Erfahrung, dachte Michael, sprach es aber nicht aus. Caridad würde sonst fragen, weshalb er Hannah überhaupt eingestellt hatte – und darauf wusste er keine Antwort.
„Sie sollten mehr Zeit mit hübschen jungen Damen verbringen und weniger an Ihrem Schreibtisch. Ihre Tochter braucht mehr als ein Kindermädchen – eine Mutter.“
„In einer perfekten Welt hätte sie eine – und ich hätte noch meine Frau.“
„Vier Jahre sind eine lange Zeit, um zu trauern.“
„Bei unserer Hochzeit habe ich Samantha versprochen, sie immer zu lieben. Soll ich damit aufhören, nur weil sie nicht mehr bei mir ist?“
„Wenn ich mich recht erinnere, heißt es im Ehegelübde: ‚Bis dass der Tod euch scheidet‘.“
„Können Sie sich etwa vorstellen, jemals einen anderen zu lieben als Estavan?“
„Nein“, gab Caridad zu. „Aber wir sind seit einundvierzig Jahren verheiratet, und ich bin eine alte Frau. Sie dagegen sind jung.“
Rasch warf Michael einen Blick auf seinen Terminkalender. „Vor dem Essen würde ich gern noch einen Anruf erledigen.“
„Sicher, Königliche Hoheit.“ Sie knickste und zog sich zurück.
Vierzehn Jahre war er mit Samantha zusammen gewesen, auch seit ihrem Tod vor vier Jahren hatte es keine andere für ihn gegeben. Sie war die Liebe seines Lebens, andere Frauen hatte er nie auch nur angesehen.
Dennoch stimmte er Caridad in einem Punkt zu: Hannah Castillo sah fantastisch aus.
Zum Essen wurde den Erwachsenen Red Snapper mit Couscous und gegrilltem Gemüse serviert, Riley bekam Hähnchen-Nuggets mit Pommes und einer winzigen Gemüsebeilage. Sie aß das Fleisch auf, knabberte an einigen Pommes und ignorierte das Gemüse auf ihrem Teller völlig.
Während der gesamten Mahlzeit war sich Hannah der Anwesenheit von Prinz Michael überaus deutlich bewusst. Er saß ihr gegenüber, und ihr Pulsschlag beschleunigte sich, wann immer er sie ansah. War das eine Folge ihrer Teenagerschwärmerei oder ihres langen, unfreiwilligen Zölibats? Wie auch immer, der Mann raubte ihr die Seelenruhe.
Glücklicherweise schenkte er ihr wenig Beachtung und unterhielt sich die meiste
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