Romana Extra Band 6
weiter Druck darauf auszuüben, und kehrte ins Schloss zurück, um das Abendessen vorzubereiten.
„Da ist so viel Blut!“, raunte Riley ihrem Vater zu.
„Kopfwunden bluten immer stark“, versuchte Hannah sie zu beruhigen. „Bald kann ich ein Pflaster darüberkleben, dann …“
Aber Michael griff nach ihrer Hand und zog sie vorsichtig beiseite, um die Wunde zu betrachten. Sofort begann das Blut wieder zu fließen. „Ich fürchte, ein Pflaster genügt hier nicht.“
„Doch, bestimmt.“
„Sie sind keine Ärztin.“
„Ich bin bei einem Arzt aufgewachsen, und er …“
„Er würde sich Ihre Verletzung sicher gern selbst ansehen.“
Wie sich herausstellte, besuchte Hannahs Onkel Phillip gerade einen Kongress im Nachbarort. Binnen einer Stunde nach dem Anruf traf er in Cielo del Norte ein. Zu diesem Zeitpunkt war die Blutung gestoppt, Hannah lag auf einem Sofa in der Bibliothek, und Riley leistete ihr Gesellschaft.
„Wenn du Wert auf meinen Besuch legst, hättest du einfach anrufen können“, neckte er sie zur Begrüßung.
„Jetzt, wo du es sagst …“ Hannah richtete sich auf.
„Hallo, Doktor Phil“, begrüßte Riley ihn erleichtert.
Amüsiert über den Spitznamen, lächelte er und reichte ihr einen Lolli. „Lutsch ihn aber erst nach dem Abendessen.“
Gehorsam steckte sie ihn in eine Tasche ihrer Shorts.
Phillip setzte sich neben seine Nichte. „Was ist denn passiert?“
„Ich habe Hannah mit dem Tennisschläger geschlagen“, gestand die kleine Prinzessin.
„Vor- oder Rückhand?“
Darüber musste sie erst einen Moment nachdenken. „Es war die Rückhand.“
„Du hast einen kräftigen Schlag.“
„Ich hab auch fleißig trainiert“, meinte sie, hin- und hergerissen zwischen Stolz und Reue.
„Lass uns mal sehen, welchen Schaden du angerichtet hast.“ Er begann mit der Untersuchung, und als er ihren Kopf nach hinten bog, stöhnte Hannah auf.
„Hast du Kopfschmerzen?“
Sie nickte vorsichtig.
„Sobald die Wunde genäht ist, gebe ich dir etwas dagegen.“ Er bot Riley an, ihm bei der Arbeit zuzusehen, aber sobald er die Nadel aus dem Arztkoffer holte, verschwand sie.
„Wie gefällt dir dein Job hier?“, erkundigte er sich, als das Mädchen fort war.
„Sehr gut. Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben wir rasch Fortschritte gemacht.“ Während sie das Nähen über sich ergehen ließ, dachte Hannah über Riley nach.
„Gelegentlich vermisse ich meine Mutter immer noch“, gab sie zu. „Zum Glück habe ich viele Erinnerungen an die Zeit mit ihr – glückliche Erinnerungen.“
„Im Gegensatz zu Riley“, griff er ihren Gedankengang auf.
„Ist der Verlust für sie dadurch schwerer zu ertragen?“
„Ich denke, dass sie gelegentlich eine große Leere empfindet. Insgesamt wirkt sie aber wie ein zufriedenes, ausgeglichenes Kind.“
„Wie lange hält die Trauer um einen geliebten Menschen an?“
Phillip klebte ein Pflaster über die Naht. „Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort. Keine Beziehung gleicht der anderen, dasselbe gilt für den Trauerprozess.“
Hannah dachte an die E-Mail ihres Vaters, an ihre Überraschung und ihre Wut. „Ich dachte, mein Vater würde meine Mutter für immer lieben.“
„Das tut er auch. Trotzdem kann und soll er sich wieder verlieben.“
Nachdenklich nickte sie. „Trifft das auch auf Prinz Michael zu?“
„Bestimmt. Wann das geschieht, kann allerdings niemand vorhersagen. Außerdem solltest du nicht vergessen, dass du nur den Sommer über hier bist.“
„Keine Sorge. Auf Dauer möchte ich nicht als Kindermädchen arbeiten.“
„Das meine ich nicht.“
„Was sonst?“
„Ich weiß, dass du schon als Kind für ihn geschwärmt hast. Möglicherweise hat dein Aufenthalt hier alte Gefühle wieder aufleben lassen?“
„Das war nur eine Teenagerschwärmerei. Ich kannte ihn doch gar nicht. Bei unserer ersten Begegnung fand ich ihn nicht gerade sympathisch. Er wirkte so abweisend und reserviert.“
„Und dann hast du dich in ihn verliebt“, stellte ihr Onkel fest.
Hastig schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich empfinde zwar etwas für ihn …“ Mehr, als sie sich selbst einzugestehen bereit war. „Aber daraus wird nichts. Es würde mir nur Kummer einbringen.“
„Wenn du glaubst, deine Gefühle steuern zu können, bist du nur halb so klug, wie ich dachte.“
Der Abschied von ihrem Onkel fiel Hannah schwer. Gleichzeitig war sie erleichtert. Er war ein scharfer Beobachter und sollte nicht Zeuge ihrer Torheit
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