Romana Extra Band 6
und als er in den Raum sah, hielt er inne, fasziniert von dem Anblick, der sich ihm bot.
Riley tanzte. Mit hocherhobenen Armen wirbelte sie im Kreis herum, stampfte im Rhythmus mit den Füßen und vollführte akrobatische Sprünge. Neben ihr wiegte sich Hannah anmutig in den Hüften. Beide sangen lauthals, offenbar kannten sie den ihm unverständlichen Liedtext auswendig.
Die laute Musik bereitete ihm beinah Kopfschmerzen – und übertönte das Gewitter. Von den Tänzerinnen unbemerkt, lehnte er sich an den Türrahmen und beobachtete das Treiben amüsiert.
Ein Lied folgte dem anderen, die beiden sangen und tanzten, und er genoss den Anblick seiner glücklichen, vor Energie sprühenden Tochter. Nie zuvor hatte er miterlebt, dass sie einfach nur Spaß hatte. Hannah hat recht, dachte er. Trotz ihrer vielfältigen Begabungen musste Riley die Chance bekommen, einfach nur Kind zu sein.
Als sie ihn schließlich entdeckte, strahlte sie noch mehr – falls das überhaupt möglich war.
„Sieh mal, Papa. Wir tanzen.“
Sie hopste weiter wild herum, Hannah dagegen hielt peinlich berührt inne.
„Lassen Sie sich bitte nicht stören“, bat er, doch sie ging zur Stereoanlage und drehte die Lautstärke herunter.
Neugierig nahm Michael die CD-Hülle, die auf der Anlage lag, und betrachtete das Cover. Es überraschte ihn, dass seine Tochter, die klassische Musik liebte, Gefallen an einem Popsong fand, enttäuscht war er darüber aber nicht.
„Was hat zu diesem Tanzmarathon geführt?“, erkundigte er sich.
„Riley musste jede Menge überschüssige Energie abbauen“, erwiderte Hannah lächelnd. „Im Freien war das bei dem Regen nicht möglich.“
„In den letzten Wochen hat sie sich sehr verändert. Zum Guten. So glücklich wie jetzt habe ich sie noch nie gesehen.“
„Sie ist ein wunderbares Mädchen.“
Er lächelte, als ihm einfiel, wie sie ihn vor Kurzem gewarnt hatte, dass Riley sich in ein verwöhntes Gör verwandeln könnte. Indem sie ihren Stundenplan drastisch gekürzt und neue Regeln aufgestellt hatte, hatte Hannah Erstaunliches erreicht.
„Offenbar tanzt sie leidenschaftlich gern“, fuhr sie fort.
Das war unübersehbar. Ihr Talent vermochte er nicht zu beurteilen, an Begeisterung mangelte es Riley jedoch nicht.
„Meine Schwester hat eine Freundin, die …“
„Nein“, unterbrach Hannah ihn hastig. „Riley braucht nicht noch mehr Unterricht – nicht im Moment. Lassen Sie sie eine Weile nur zum Vergnügen tanzen. Verlangt sie nach mehr, kann sie einen Kurs belegen, zusammen mit anderen Kindern.“
Als das Lied zu Ende war, schaltete sie die Musik aus.
„Auf der CD sind noch drei Songs“, protestierte Riley.
„Wie oft hat sie sie denn schon gehört?“, fragte Michael.
„Unzählige Male. Es ist Zeit zum Abendessen. Geh hoch und wasch dich“, wandte Hannah sich an seine Tochter.
Diese sank zu Boden. „Dazu bin ich viel zu erschöpft.“
„Wenn du noch Kraft zum Tanzen hast, schaffst du es auch, den Wasserhahn aufzudrehen“, ermahnte er sie lächelnd, und sie gehorchte kichernd.
Hannah nahm die CD aus der Stereoanlage und steckte sie zurück in die Hülle.
„Hatten Sie jemals Ballettunterricht?“, erkundigte er sich neugierig.
„Ja, bis meine Lehrerin meinte, dass in mir kein Funken Talent stecke.“
„Unmöglich! Mir hat gefallen, wie Sie tanzen. Würden Sie mir die Ehre erweisen?“
Überrascht sah sie ihn an. „Wie bitte?“
Michael ging zur Musikanlage, schaltete das Radio ein und suchte nach einem Sender mit geeigneter Musik. „Dieser Song war in meinem ersten Jahr an der Uni in den Top Ten“, sagte er einen Moment später.
„Ich kenne ihn nicht.“
„Dann werden Sie wenigstens nicht versuchen zu führen.“
Er streckte die Hand aus, und zögernd reichte sie ihm ihre. Eine Weile tanzten sie schweigend.
„Sie kennen das Stück wirklich nicht?“, fragte Michael. „Wie alt sind Sie eigentlich?“
„Sechsundzwanzig.“
Also hatte Hannah die Grundschule besucht, als er bereits studierte. Inzwischen war sie unübersehbar erwachsen – und unwiderstehlich sexy.
„Hannah …“
Als sie den Kopf in den Nacken legte und ihre Blicke sich begegneten, vergaß er, was er sagen wollte. In ihren Augen spiegelte sich dasselbe Verlangen, das in ihm brannte.
Vom ersten Tag an hatte er gegen die Gefühle angekämpft, die er ihr entgegenbrachte – vergebens. Immer noch begehrte er sie, stärker als je zuvor. Ihr erging es offenbar ähnlich. Was also sprach
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