Romana Extra Band 6
er eintraf, befand ich mich auf dem Weg der Besserung, aber …“ Hannah schluckte. „Sie hatte sich angesteckt, die Symptome allerdings ignoriert, solange sie mich pflegte. Dann war es zu spät.“ Sie streifte ihre Schuhe ab, zog die Beine hoch und schlug sie unter. „Ich habe lange geglaubt, dass mein Dad mich fortgeschickt hat, weil er mir die Schuld an ihrem Tod gab.“
„War es tatsächlich so?“
„Nicht offiziell. Onkel Phillip meinte, es wäre kein Leben für mich, immer von Ort zu Ort zu ziehen. Mein Vater gab ihm recht, obwohl er keinen Anstoß daran genommen hatte, solange meine Mutter noch lebte.“
„Das tut mir leid.“ Erst die Mutter zu verlieren, dann vom Vater getrennt und in eine fremde Umgebung versetzt zu werden, zu fremden Menschen, war sicher eine traumatische Erfahrung gewesen.
„Mir nicht. Damals war ich am Boden zerstört, aber heute weiß ich, dass mir nichts Besseres passieren konnte. Mein Onkel bot mir nicht nur ein Zuhause, sondern auch Geborgenheit und Sicherheit, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Er war und ist mein sicherer Hafen.“
„Wo hält sich Ihr Vater zurzeit auf?“
„In Botswana, glaube ich. Von dort kam seine letzte E-Mail.“
„In der er Ihnen von seiner Heirat berichtet hat?“
„Woher wissen Sie davon?“
„Sie haben einmal gesagt, Sie wünschten, ich würde an meiner Beziehung zu Riley arbeiten, damit sie nicht eines Tages eine E-Mail bekommt, in der ich ihr mitteile, dass sie eine neue Stiefmutter hat.“
Hannah zuckte zusammen. „Ich war sehr aufgewühlt. Er hatte nämlich bereits geheiratet, ohne mich vorab zu informieren. Geschrieben hat er mir nur, weil er im Herbst nach Tesoro del Mar kommt und mich dann seiner Frau vorstellen will.“
„Kein Wunder, dass Ihnen diese Nachricht den Boden unter den Füßen weggezogen hat.“
„Ich kenne ihn nicht gut genug, um mich über irgendetwas zu wundern, das er tut. In den achtzehn Jahren, die ich bei Onkel Phillip lebe, habe ich ihn höchstens sechsmal gesehen. Seine Arbeit war ihm immer wichtiger als ich. Er fühlte sich immer schon zu Höherem berufen, reiste in die entlegensten Winkel der Erde, zu Menschen, die in unvorstellbarem Elend leben.“
Sie seufzte. „Das hat mir so lange wehgetan, bis ich begriffen habe, dass er tut, was er tun muss. Die Menschen, denen er hilft, brauchen ihn dringender als ich.“
So einfach ist es sicher nicht, dachte Michael. Er war wütend auf ihren Vater, der die Bedürfnisse seiner Tochter ignorierte, und auf sich selbst, weil er dasselbe mit Riley getan hatte. Hannah hatte ihm die Augen geöffnet und ihn gelehrt, wie er ein besserer Vater sein konnte. Dafür war er ihr zutiefst dankbar.
„Werden Sie Ihren Vater – und seine neue Frau – treffen?“
„Vermutlich.“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
Als er sie fragend ansah, erklärte Hannah: „Meine Freundin Karen hat mir vorgeschlagen, zu der Begegnung einen Ehemann mitzubringen.“
„Zu heiraten, nur um ihm eins auszuwischen, erscheint mir doch übertrieben.“
„Da haben Sie natürlich recht.“
„Waren Sie je verheiratet?“, fragte Michael neugierig.
„Nein.“
„Verlobt?“
„Finden Sie nicht, dass Sie für einen Abend genug über meine Familiengeschichte gehört haben?“
Also ja, dachte er, respektierte aber ihren Wunsch, das Thema ruhen zu lassen. „Worüber möchten Sie den Rest des Abends sprechen?“
„Das dürfen Sie entscheiden. Ich würde gern fernsehen.“
„Einverstanden.“ Er schnappte sich die Fernbedienung. „Aber denken Sie daran, es ist mein Fernseher.“
„Soll ich vielleicht mit Ihnen darum kämpfen?“ Sie warf ihm einen herausfordernden Blick zu.
„Würden Sie das tun?“ Das könnte interessant werden, fand er, und je mehr er darüber nachdachte, desto verlockender erschien ihm die Vorstellung.
„Sicher, aber man hat mir Ruhe verordnet.“
Enttäuscht reichte er ihr die Fernbedienung.
12. KAPITEL
Gerade kehrte Michael von einem kurzen Abstecher in die Hauptstadt zurück und bog in die Auffahrt zum Schloss ein. Es goss in Strömen, und als er das Auto vor dem Gebäude parkte, zerriss ein Blitz die Dunkelheit. Fast gleichzeitig ertönte ohrenbetäubender Donner. Arme Riley, dachte er. Sie hatte entsetzliche Angst vor Gewittern.
So schnell es ging, eilte er hinein. Aus der Küche duftete es verlockend. Interessanter erschienen ihm allerdings die Geräusche, die aus dem Musikzimmer durch die Flure hallten. Neugierig folgte er der Musik,
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