Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Westberliner Szene. Einmal nimmt Kramnitz Lasers Freundin mit zu einer Party bei Sascha Anderson, dem Untergrundstar. Inzwischen ist er mit einer Malerin verheiratet, sie leben beide, wie immer mehr Leute, in Prenzlauer Berg, am Rand des Systems, im Niemandsland. Dann wird Kramnitz zum zweiten Mal verhaftet.
Laser findet heraus, welcher westdeutsche Anwalt im Auftrag der Bundesregierung die Freikäufe von Häftlingen organisiert. Während Kramnitz in der DDR ziellos herumsumpft, ist Laser Professor geworden, ein linker natürlich, und hat sich ein Haus gekauft. Er schafft es: Kramnitz kommt tatsächlich auf die Liste. Laser holt ihn und seine Frau, die Malerin, am Bahnhof Friedrichstraße ab. Gemeinsam fahren sie nachLichterfelde, in das Haus, dort leben sie erst einmal zu viert, denn auch Laser hat inzwischen geheiratet.
Die Geschichte könnte nun versöhnlich zu Ende sein. Sie geht aber weiter.
Der eine hat sein Leben fertig eingerichtet. Der andere fängt erst damit an. Kramnitz veröffentlicht im Westen recht schnell einen Roman, nicht bei einem renommierten literarischen Verlag, wie bei seinem ersten Buch, nein, diesmal ist es ein Verlag, dem es vor allem aufs Geld ankommt. Das Buch wird als »Szeneroman« gepriesen. Kramnitz gerät in eine Art Geschwindigkeitsrausch, diesen Rausch, von dem einem ehemalige DDR-Bürger der jüngeren Generation oft erzählen. Man möchte in kurzer Zeit möglichst viel nachholen, glaubt, dass jetzt alles möglich ist. Die neuen, unsichtbaren Grenzen kann man noch nicht einschätzen. Kramnitz nimmt Kokain, fährt teure Autos. Die Literatur interessiert ihn nicht mehr, er macht jetzt Werbung.
Laser fehlen fast die Worte, wenn er darüber erzählt. Ein High-Speed-Kapitalist sei Kramnitz geworden. Ausgerechnet er. Der Sensible. Der Stille. Die Malerin hat er auch bald in die Wüste geschickt. Sie erinnerte ihn an die DDR. Seine neue Frau hatte wohl Geld, sagt Laser spitz, Geld und Erfolg, das war jetzt das Wichtigste für ihn. Er wollte unbedingt nach oben. Bald hatte er seine eigene Agentur. In der Branche ist er heute wer.
Als die Mauer fiel, waren sie schon keine Freunde mehr. Der Kapitalismus ist auch beim Zerstören dieser Freundschaft erfolgreicher gewesen als die DDR. Ein scharfer Bruch war es nicht, stattdessen ein allmähliches Entfernen, mit immer größeren Abständen zwischen den Telefonaten. Einmal läuft Laser an einem Buchladen vorbei und sieht im Schaufenster denRoman von Kramnitz und ein Sachbuch, das Laser geschrieben hat. Sie stehen nebeneinander. Er holt von zu Hause einen Fotoapparat und macht ein Bild. Aber auf dem Foto sind die Namen nicht zu erkennen, auch sonst fast nichts. Der Spiegeleffekt.
Vor ein paar Jahren hat sich Bernd Laser die Stasiakten zu seinem Fall angeschaut. Er war gerührt, als er las, wie der Freund seine Bildung und seine Selbstsicherheit rühmt, wie da steht: »L. ist sehr musikalisch.« Es hat ihn gewundert, wie viel belangloses, unwichtiges Zeug da steht. Er war erstaunt darüber, wie ahnungslos die Stasi war, trotz alledem. In den Akten steht, Laser sei »Angehöriger der Tramperbewegung«. So ein Quatsch, das gab es doch gar nicht! Eine riesige Behörde befasst sich wochenlang damit, den Abdruck eines Liebesgedichtes von Rolf Kramnitz in einer Literaturzeitschrift zu verhindern, ist das nicht absurd?
Laser habe, so stand da außerdem, Kramnitz im Westen ein Stipendium versprochen. Dabei hatte er doch nur gesagt, dass es im Westen Bafög gibt, wenn einer kein Geld hat. Die Stasi wusste offenbar nicht, was das ist, Bafög. So wie Laser nicht wusste, was ein IM ist.
Und dann stand Laser plötzlich wieder vor Eva, dem Mädchen aus dem Süden. In der Akte stand tatsächlich, dass er, Laser, Kontakte zur RAF unterhalte. Vermutlich sei er sogar Mitglied. Das kann sich nur auf die Fahrpreis-Demo von 1970 beziehen, sagt Laser. Diese Geschichte habe ich Kramnitz erzählt. Dieser Zufall, dass sie Gleisblockiererin war und ich nicht. So wie man eben zufällig Ost- oder Westdeutscher ist. Eva Haule, aus unserer Stadt.
1986 hat man sie erwischt, in einem Eiscafé in Rüsselsheim. Bis 2007 saß sie im Gefängnis, sie war einer der letzten RAF-Häftlinge,die freikamen. Tote oder Verletzte hatte es bei dem Anschlag in Oberammergau übrigens nicht gegeben. Er war zu dilettantisch ausgeführt.
Laser hat an der Akte Philologenarbeit betrieben. Er hat versucht, Zwischentöne herauszuhören. Heute glaubt er zu wissen, wie es wirklich war. Das ist
Weitere Kostenlose Bücher