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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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Reinhold-Messner-Stil bei starkem Wind zu Fuß durch den Schnee, zuerst ins Tal der Steyr hinab, im Nationalpark Kalkalpen, dann über mehrere Steilkurven wieder hinauf, bis zu dem kleinen Bauerndorf Frauenstein mit der winzigen Wallfahrtskirche oben auf dem Berg. Hinter der Kirche Unserer lieben Frau am Stein liegt der Friedhof. Dann hat man’s geschafft. Dann steht man vor dem Grab von Hans Joachim Kulenkampff, genannt Kuli.
    Fünf goldene Bildschirme. Zwei goldene Kameras. Ein Bambi. Bremer des Jahres 1990. Gestorben 1998.
    Vor etwa 50 Jahren ist in Deutschland eine neue Art von Stars entstanden. Die Fernsehstars. Wenn man mal genau hinschaut: alles Männer. Sie waren Helden, für uns, für die Kinder der Nachkriegszeit. Jetzt sind sie tot. Wie sieht ihr Nachruhm aus? Wie bei den Theaterstars, an die sich irgendwann niemand mehr erinnert, außer den Experten? Oder wie bei den Filmstars, deren Ruhm lange bleibt? Man weiß es noch nicht genau.
    Kuli zum Beispiel liegt neben seiner Frau in einer Urne.Schöner Bergblick. Auf dem Grab steht allerdings nur sein Name. Den Stein der Vormieter – falls man das so sagt – haben sie stehen lassen, weiß, mit verwitterten Buchstaben und dem verblassten Foto eines jungen Mädchens. Kulis Frau stammte aus Linz, ein paar hundert Meter entfernt stand das kleine, unauffällige Ferienhaus ihrer Eltern. Dort haben die Kulenkampffs ihre freien Wochenenden verbracht.
    Im Sommer ist Kulis Grab eine Wallfahrtsstätte für deutsche Touristen. Das sagt die Wirtin vom Gasthof Federlehner, direkt neben der Kirche. Kuli war bei ihr Stammgast. Jetzt macht sie in Zeitschriftenanzeigen damit Reklame, dass Kuli Stammgast war. In der Nacht vor der Beerdigung hat sie gemeinsam mit der Witwe am Sarg gewacht.
    Die Wirtin trägt einen langen Zopf, sie ist um die 40 und nervös, denn sie muss jetzt gleich ein Schwein schlachten. Vorher zeigt sie von der Terrasse aus das Haus, in dem Kuli immer gewohnt hat. Sie hat darin Routine.
    »Und was ist jetzt mit dem Haus?«
    »Es steht leer. Manchmal gibt die Tochter Freunden den Schlüssel. Die ist Künstlerin. Eine Ausgeflippte.«
    Zum 80. Geburtstag des toten Vaters hat sie im Gasthof eine Kulenkampff-Gedächtnisparty gegeben, mit sämtlichen ausgeflippten Freunden und einer besonders ausgeflippten Band. Das hätte Kuli vermutlich gefallen.
    Kulenkampff hat uns Deutschen den frechen britischen Stil gebracht. In der lieben, braven, soßenartigen Showbranche war er der Einzige, der gelegentlich sarkastisch wurde. Er war links, weil er mehrfach gegen alle Vorschriften »die Zuschauer in der DDR« begrüßte. Er galt als irgendwie intellektuell, weil er Volvo fuhr und Scampi aß. Außerdem machte er Werbung für Willy Brandt und für den Weinbrand Chantré. Kulis Honorarbetrug, Anfang der Siebziger, legendäre 40 000 Mark pro Sendung. Sein Quiz »Einer wird gewinnen« war ein heimliches Umerziehungsprogramm. Deutsche zu Europäern. Aus der Aussöhnung mit den Nachbarvölkern hat Kuli eine Show gemacht. War das, alles in allem, nicht genial? Im Krieg sind ihm die Fußzehen abgefroren. Er trug ein Toupet. Wenn Gäste aus Israel kamen, wirkte Kuli manchmal etwas hibbelig.
    Als alter Knabe hat er versucht, ins junge Privatfernsehen zu wechseln. Das war Harakiri. Am Ende hat er tatsächlich das Kunststück geschafft, wegen zu schlechter Quote aus dem dritten Programm gekippt zu werden. Die Show trug den unheilverheißenden Namen »Zwischen gestern und morgen«. Zuletzt klagte er häufig über »das heutige Niveau«. Das ist immer ein schlechtes Zeichen, für den, der klagt.
    Kuli sagte: Gottschalk ist mein Nachfolger. Aber das stimmt nicht. Gottschalk ist ein Ami. Kein britischer Gentleman. Kulis Sarkasmus, sein Image als Vorzeige-Intellektueller und als einer, der die Autoritäten im Sender bestenfalls ignoriert, all das hat eher Harald Schmidt geerbt.
    Aber wer ist der Urahn von Günther Jauch? Dazu muss man den Zug nach München nehmen.
    Zwei Goldene Bildschirme. Eine Goldene Kamera. Zwei Bambis. Bayrischer Verdienstorden. Gestorben 1989.
    Dichtes Schneetreiben. Rabenvögel kreischen. In Bogenhausen liegt der ins Unbürgerliche hinüberschillernde Teil der Münchner Prominenz – Fassbinder, Sedlmayr –, aber Robert Lembke liegt natürlich auf dem Westfriedhof, bei den Honoratioren und nicht weit weg von der Schlagersängerin Alexandra. Gegenüber ruhen Englische Fräulein, Ordensschwestern, meistens zu zweit, Bernolda neben Irmenhilde, Engelharde neben

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