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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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häufiger erleben kann: Gutverdienende, die seit Jahrzehnten in 160-Quadratmeter-Etagen wohnen und dabei ein bisschen Karriere gemacht haben, lästern über gleichaltrige Neulinge, die ähnlich verdienen wie sie, die ähnliche Meinungen haben undähnliche Vorstellungen von Wohnkultur, nur, sie sind später dran. Und sie zahlen höhere Mieten.
    Unser Haus, ein großes Mietshaus, wurde in den 80ern von einem damals jungen Lehrer und einem Architekten gekauft, um darin zu leben, die übrigen Mietwohnungen wurden in Eigentumswohnungen umgewandelt, auf diese Weise finanzierten sie das Projekt. Ganz easy. Etwa zu dieser Zeit, 1988, wollte ich auch mal mit einem Freund ein Mietshaus in der Dieffenbachstraße kaufen. Vorderhaus, Hinterhaus, Seitenflügel, im Erdgeschoss ein Laden, ungefähr 20 Wohnungen, bewohnbar, aber unsaniert, 450 000 Mark. So waren damals die Preise. Natürlich hatten wir keine 450 000 Mark, wir hätten Kredite aufnehmen müssen und bekamen Angst. Schon ein Jahr später, nach dem Mauerfall, war das Haus das Drei- bis Vierfache wert. Heute vielleicht das Zwanzigfache. Da würde die Freude über den Reichtum sicher dafür sorgen, dass man kein schlechtes Gewissen hat.
    Trotzdem blieb das Viertel lange in der Balance, kein Milieu schien die Oberhand über die anderen Milieus zu gewinnen, das war schon ein kleines Wunder. Jetzt mehren sich die Zeichen der Entmischung. Das Attac-Büro, ein kleiner Kellerladen, ist gekündigt worden. Der Entmieter war ein Mann um die 30, er sagt, dass da jetzt was Gastronomisches reinkommen soll, was total Originelles, vielleicht eine Sushi-Bar. Neue Läden sind meistens gastronomisch, obwohl es davon schon sehr viel gibt. Die Weingenossenschaft konnte die Miete nicht mehr bezahlen, dort wird jetzt renoviert. Ein Haus schräg gegenüber wurde von spanischen Investoren ebenfalls radikal entmietet, der Quadratmeter kostet jetzt etwa 3000 Euro. Das Straßenfest, das immer sehr schön war, ist diesmal ausgefallen. Seit Jahren schon konnte man auf Plakatenlesen, dass sich das Organisationskomitee über mangelnden Nachwuchs beklagt. Die neuen Bewohner haben viel zu tun, klar, sonst können sie ihre Mieten und ihre Kredite nicht bezahlen. Das alles vollzieht sich in Zeitlupe, nicht radikal, nicht schnell, sondern Schritt für Schritt, Haus für Haus.
    Und ich weiß genau, dass hier etwas entsteht, entstehen könnte, was denen, die herziehen und die ja keine Monster sind, sondern ganz normale Leute, nur halt mit guten Jobs, nicht gefallen dürfte. Indem man kommt, macht man es kaputt, genau wie der Rucksacktourist, der einen einsamen Strand entdeckt, an dem dann zehn Jahre später ein Klubhotel steht. Ich habe es erlebt, als ich nach München zog. Das Glockenbachviertel sei eine wunderbare Gegend, hieß es. Ich schaute mir das Glockenbachviertel an und verstand die Welt nicht mehr. Das war, in meinen Berliner Augen, völlig langweilig und öde. Spiegelglatt, totsaniert. Lauter Wohlhabende. Ich war zu spät dran.
    Offenbar ist es so, dass erst die Armen das Viertel, für die Augen der Wohlhabenden, so attraktiv machen. Der alte Mann, der mit seinem Hund immer am offenen Fenster sitzt, umgeben von bunten Plastikblumen, die leutseligen Biertrinker vor Getränke-Hoffmann, die Hausmeister, die Rentnerinnen in Kittelschürzen und die tiefergelegten BMWs der Türken, die mit voll aufgedrehter Anlage vom Kottbusser Damm mal kurz rübercruisen, das alles gehört dazu und macht den Reiz aus, so, wie die Wäsche auf den zwischen Häusern gespannten Wäscheleinen den Reiz einer Mittelmeerstadt ausmacht. Dieser Blick ist folkloristisch, auch klischeehaft, und nicht sozialpolitisch, er weiß nichts von den Nöten und Ängsten der Unterschicht. Aber er bedeutet, dass es am Ende,wenn der Prozess der Gentrifizierung abgeschlossen ist, keine Gewinner geben wird, sondern nur Verlierer. Die Armen wohnen woanders, und den Reichen gefällt es nicht mehr. Denn sie wollten eigentlich gar nicht unter sich sein. Sie wollten niemanden vertreiben. Sie wollten es doch nur schön haben, lebendig, ohne Monokultur.
    Noch etwas: Die Zahl der Wohnungseinbrüche steigt. Ich war auch schon dran.

Fernsehstars
    Von Berlin aus nimmt man am besten den Flieger bis München, dann den Zug nach Linz in Oberösterreich. Dort steigt man in die rappelige Rumpelbahn nach Kirchdorf an der Krems. In Kirchdorf fährt ein Bus Richtung Garsten. An der Wegkreuzung nach Frauenstein hält der Fahrer. Die letzten Kilometer geht es im

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