Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Tieves sagt: »Wir sind mitten auf ihrem Gebiet. Das FEZ ist ja eine Errungenschaft der DDR. Und nun soll man hier die Kirche reinlassen, das ist natürlich hart für die.«
Der Lehrer sagt: »Der Bratwurstverkäufer weigert sich, unseren Schülerinnen etwas zu verkaufen. Er verkauft keine Würste an Christen. Oder höchstens an Evangelische. Die im Osten wollen uns einfach nicht.«
Der Bratwurstverkäufer sagt: »Wenn es wenigstens gute Musik wäre und nicht so ein Katzengejaule.«
Einer der Musiker ist kürzlich Vater geworden, und jetzt spielen sie, sehr laut, »Kleine Seele, wunderbar«. Ganz unrecht hat der Bratwurstverkäufer nicht.
Ein paar Fahrradfahrer halten an. Sie rufen: »Gibt’s hier was umsonst? Scheiß auf den Papst, ey!« Der Lehrer sagt: »An einer christlichen Schule lernt man, nett miteinander umzugehen und keinen Wert auf Markenklamotten zu legen. Viel mehr können wir, ehrlich gesagt, nicht erreichen. Die Schule liegt ja im Ostteil.«
Sie haben als Promi Christine Bergmann eingeladen, die ehemalige Familienministerin. Der Moderator von der Katholischen Journalistenschule fragt: »Frau Bergmann, Sie kommen aus der DDR. Wieso hat trotzdem die Kirche für sie so eine Bedeutung?«
Bergmann, leicht irritiert: »Die Kirche ist gerade in der DDR ziemlich wichtig gewesen.« Im Abgang erzählt sie noch: Egal, was sie gerade tue und wo sie sei, sie sage sich immer, dass Gott sie an diesen Platz gestellt habe und dass es deshalb einen Sinn haben muss. »Das hilft immer.«
Freunde
Bernd Laser ist ein mittelgroßer, mittelschlanker, bartloser Mann um die 50. Er lebt als Germanistikprofessor in einer westdeutschen Stadt. Früher war er Sympathisant einer kleinen maoistischen Partei, er hat auch mal eine Zeitlang gekifft. Ein typischer 68er, das kann man sicher so sagen. Dies ist seine Geschichte und die Geschichte eines Mannes, der sein bester Freund war und einen Terroristen aus ihm gemacht hat, die Geschichte des DDR-Bürgers Rolf Kramnitz aus Karl-Marx-Stadt.
Beide heißen in Wirklichkeit anders.
1970 lebt Laser in der Nähe von Stuttgart, in einer dieser kleinen süddeutschen Städte. Er geht noch zur Schule. Die Stadt hat die Fahrpreise für ihre Busse und Straßenbahnen erhöht. Wie damals üblich, wird gegen die Preiserhöhung protestiert. Demonstranten blockieren Gleise, ein paar werden festgenommen. Irgendwo in der Menge steckt auch der Schüler Laser, genannt Lassie, ein langhaariger Typ mit armeegrünem Parkamantel. In der gleichen Demo läuft auch eine Schülerin mit, die Eva heißt, Eva Haule. Sie ist ungefähr gleichaltrig und kommt aus der gleichen Stadt. Bernd Laser kennt Eva vom Sehen. An diesem Tag kreuzen sich ihre Lebenswege. Danach gehen sie wieder auseinander.
Laser wird nach dem Abitur nach Westberlin gehen, um der Bundeswehr zu entkommen, er wird in die linke Szeneeintauchen, wird eine Weile zwischen dem Westberliner Ableger der SED, der SEW, und den Maoisten schwanken. Musik. Partys. Dann wird bei ihm, wie bei den meisten, eine langsame Bewegung zurück beginnen, zurück zu Bürgertum und Wohlanständigkeit. Eva dagegen wird eines Tages, kurz vor Weihnachten, zusammen mit ihren Genossen vom »Kommando Jan Raspe« ein mit Sprengstoff beladenes Auto auf dem Parkplatz der Nato-Schule in Oberammergau abstellen. Die Ladung soll um 9 Uhr 30 explodieren, um diese Zeit sind immer die meisten Leute in der Schule. Eva Haule ist nach der Schule zur Roten Armee Fraktion gegangen.
Bei jener Demonstration, an der beide teilnahmen, Laser und sie, hatte sich die sechzehnjährige Eva Haule als Blockiererin auf die Gleise gesetzt. Die halbe Stadt sprach davon, vor allem die Jugend. Auch Laser hörte, dass sie festgenommen wurde. Eva Haule brauchte, nach ihrer Festnahme, einen Rechtsanwalt. Der Anwalt hieß Klaus Croissant und sympathisierte mit der RAF. Damit hat alles angefangen.
Laser hatte sich, vielleicht aus Zufall, vielleicht auch aus Feigheit, nicht auf die Gleise gesetzt. Das war der Unterschied.
Im Jahr 1978 hat Rolf Kramnitz seinen Abschluss an der EOS geschafft, in der DDR das Gegenstück zum Abitur. Mit Freunden fährt er, um zu feiern, nach Polen. Er ist 18. In Danzig schlafen sie am Strand, in Schlafsäcken. Sie lernen ein paar Westdeutsche kennen, die ebenfalls etwas zu feiern haben, ihren Abschluss an der Uni. Die Westdeutschen, alle schon Mitte 20, leisten sich ein Hotelzimmer. Am Ende schlafen sie alle, Ost und West, zu zehnt oder zwölft in diesem
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