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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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nicht die Stimme von Kramnitz, die da spricht. Ein Wichtigtuer von der Stasi hat versucht, alles aufzubauschen. Ein Gernegroß, der mit spektakulären Entdeckungen unbedingt nach oben wollte. RAF. Das war natürlich was. So sind Bürokratien. Sie haben es sogar an den KGB weitergemeldet. Ein Formblatt ging nach Moskau, mit der Information, dass Laser vermutlich Terrorist sei.
    Kürzlich wollte Laser mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Ulan Bator fahren. Sein Jugendtraum. Die Russen haben ihm ohne Angabe von Gründen die Einreise verweigert. Es kann nur an der Akte von damals liegen.  Beim Thema Terrorismus verstehen die Russen keinen Spaß.
    Laser sagt: »Die DDR gibt es nicht mehr, die Sowjetunion, die RAF, die Stasi und den KGB, sogar Jugoslawien, das alles existiert nicht mehr. Nur noch ein Aktenvermerk. Das bleibt von alldem.«
    Kramnitz gibt es im Grunde auch nicht mehr. Laser hat ihn wegen der Visumsache nach Jahren wieder angerufen. Kramnitz war gerade auf dem Weg nach London. Er konnte sich an nichts erinnern. Was hat er damals der Stasi erzählt? Zu lange her. Er sagte nur: »Die Vergangenheit holt uns immer ein, Lassie«, und solche Sätze. Allgemeinplätze.
    Für so eine Geschichte müsste man natürlich mit Kramnitz reden, seine Version hören. Laser sagt: »Ich darf Ihnen seineNummer nicht geben, auch nicht seinen Namen. Für ihn ist das vorbei. Er redet nicht darüber. Mit mir muss er es. Aber mit sonst niemandem.«
    Nein, ein Gespräch mit Kramnitz wird es nicht geben.

Gentrifizierung
    Ich lebe in einer Kreuzberger Gegend, von der es heißt, dass dort die Gentrifizierung gerade besonders heftig stattfindet, im Graefekiez. Diese Gegend liegt zwischen dem Landwehrkanal – die Admiralsbrücke! – und der Urbanstraße, oder der Hasenheide, das ist Ansichtssache. Die anderen inoffiziellen Grenzen sind der Kottbusser Damm und, vielleicht, das Urbankrankenhaus. Der Graefekiez grenzt also an das sogenannte Kreuzkölln, das neuerdings als einer der Hauptschauplätze des Berliner Nachtlebens gilt. Der Alexanderplatz und der Potsdamer Platz sind nicht weit, die Bergmannstraße und der Chamissoplatz, also Edelkreuzberg mit Markthalle, sind in einem kleinen Spaziergang zu erreichen, sogar zur Redaktion meiner Zeitung kann man in einer guten halben Stunde laufen.
    Dass dieser Kiez attraktiv ist, liegt auf der Hand, ruhig und trotzdem zentral, wie ein Makler es wohl nennen würde, mit viel Wasser, mit Parks, mit kleinen Läden und Kneipen für jeden Geschmack, zum Teil sogar verkehrsberuhigt.
    Zum ersten Mal habe ich hier in den späten 80ern gelebt, auch, als die Mauer fiel, und 2006 bin ich zurückgekommen. Damals hörte man noch nicht viel von Gentrifizierung. Seit 1990 hatte sich, auf den ersten Blick, wenig verändert, die Mischung war immer noch da, dieses spezielle Kreuzberger Ambiente – Studenten, Migranten, Alte, Lehrer, Anwälte, Kleinunternehmerund Architekten, Alt-68er und junge Lederjacken, Leute mit wenig Geld und Leute mit einträglichen Jobs, das alles wohnte Tür an Tür und vertrug sich meistens recht gut. Stadtviertel, in denen nur eine einzige Sorte von Leuten wohnt, sind öde, sage ich gerne, wenn ich mit Leuten, die in Prenzlauer Berg oder in Zehlendorf wohnen, über meinen Kiez spreche, egal, ob das Viertel nur von Wohlhabenden, nur von Migranten oder nur von jungen Familien besiedelt ist. Monokultur laugt die Böden aus, in dieser Hinsicht ähneln sich Landwirtschaft und Stadtsoziologie.
    Tatsächlich war ich, ohne es zu wollen oder auch nur zu wissen, ein Vorbote der Gentrifizierung, dieses Prozesses der Verdrängung von Wenigverdienern durch Besserverdiener. Klar, ich war kein Neuzuzug aus Westdeutschland, o nein, ich hatte ja schon zu einer Zeit hier gelebt, in der einige der Anti-Gentrifizierungs-Demonstranten nicht mal geboren waren, von diesen Grünschnäbeln muss ich mir nichts sagen lassen. Aber die Gentrifizierung schreitet nicht nur durch Zuzüge voran, sie ist auch ein biologischer Prozess. Der 28-jährige Berufsanfänger, der mit Freundin oder Freund in eine billige Wohnung in einem coolen Kiez zieht, ist, 20 Jahre später, in vielen Fällen ein Besserverdiener geworden, ein Gentrifizierer, nur, weil er sich weigert, nach Pankow oder Wilmersdorf ins Eigenheim umzuziehen, wo seine Gehaltsklasse angeblich hingehört. Er ist halt in puncto Wohnen den Idealen seiner Jugend treu geblieben, das kann man eigentlich niemandem vorwerfen. Ein Phänomen, das man hier

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