Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
bestätigen. Die Richterin fährt der Anwältin auffällig oft über den Mund. Dann applaudiert der Saal. Wenn Zeugen bei den Fragen von Kerstin Boltz ernsthaft ins Schwimmen geraten, hilft ihnen die Richterin. Ein Prozess gegen eine sogenannte Kindsmörderin wird fast so geführt wie ein moderner Hexenprozess, jedenfalls in Frankfurt/Oder.
Daniela trägt Fusselpulli, Stretchhosen, Plateausohlen. Ein Kindergesicht. Ein lethargischer Charakter. Ihre Biographie läuft darauf hinaus, dass sie die Dinge treiben lässt und bei Problemen wegläuft, von der Schule, von der Lehre, von den Kindern. Bei Vorwürfen wird sie bockig und sagt gar nichts mehr, wie eine Pubertierende.
Sie hat in vier Jahren vier Kinder von vier verschiedenen Männern bekommen. Dass sich diese Männer nicht um die Kinder kümmerten, versteht sich wohl von selbst. Alimente zahlt nur ein Einziger. Eines der Kinder, das jüngste, wurde zur Adoption freigegeben. Die Älteste, Katharina, lebte bei den Großeltern. Die Söhne wohnten bei Daniela. Aber die Arbeit blieb an der Mutter hängen, an Rosemarie J., 44, die fast jeden Tag kam, nach den Kindern und der Wohnung schaute. Daniela aber kam und ging, wann sie wollte, leerte nicht einmal den Briefkasten. Ihre Freunde waren manchmal erst 16.
Die Mutter machte ihr Vorwürfe. Daniela bockte. Mutter und Tochter bedrohten einander wechselseitig damit, sich Tobias und Kevin wegzunehmen. Ein Machtkampf war im Gang, mit den Kindern als Geiseln.
Am 31. Mai prügelten sich Mutter und Tochter. Danach eskalierte es weiter, und Daniela verschwand für zwei Wochen. Aber Rosemarie wusste ja, wie ihre Tochter Daniela ist. Dass sie sich nicht kümmert. Oft genug hat sie gesagt: »Die Danielakann sich nicht darauf verlassen, dass ich ständig in ihre Wohnung gehe.«
Diesmal lässt sie es tatsächlich bleiben. Anders als sonst. Will Rosemarie J., wütender denn je, ihre Tochter bestrafen? Will sie ihr endlich mal zeigen, was passiert, wenn man sich nicht um seine Kinder kümmert?
Bei den meisten Säugetieren gibt es einen Mutterinstinkt. Besitzen auch wir Menschen etwas in dieser Art? Vor einigen Jahren hat die Französin Elisabeth Badinter, eine Soziologin und Psychologin, ein Buch über die Geschichte der Mutterliebe geschrieben. Sie wurde wegen dieses Buches stark angefeindet. Es heißt darin: »Auf ein allgemeingültiges und naturnotwendiges Verhalten der Mutter sind wir nicht gestoßen. Wir haben im Gegenteil festgestellt, dass ihre Gefühle in Abhängigkeit von ihrer Bildung, ihren Ambitionen oder ihren Frustrationen äußerst wandlungsfähig sind. Man kommt nicht an der vielleicht grausamen Schlussfolgerung vorbei, dass die Mutterliebe nur ein Gefühl und als solches wesentlich von den Umständen abhängig ist.«
Rosemarie und Daniela. Ähnliches Gesicht, ähnlicher Haarschnitt, ähnliche Kleidung. Auch Rosemarie beantwortet Fragen, die ihr unangenehm sind, mit Schweigen. Aber sie muss in diesem Prozess nicht oft schweigen. Rosemarie gibt vor Gericht die Mustermutter, das Gegenteil von Daniela. Sie opfert sich auf, sie klagt selten, sie gibt nur und nimmt nie, sie lässt sich sogar ohne Gegenwehr schlagen. Falls Rosemarie auch nur halbwegs die Wahrheit sagt, dann ist sie in diesem Milieu eine Heilige. Wenn die Tochter eine Hexe ist, dann ist die Mutter ein Engel.
Das Gericht scheint ihr diese Version des Dramas abzukaufen, vielleicht, weil klare Verhältnisse für alle am bequemstensind. Rosemarie belastet vor Gericht ihre Tochter, sosehr sie nur kann. Das letzte Mal haben sie sich bei der Beerdigung von Kevin und Tobias getroffen. Es gab am Grab sogar eine Kapelle. Sie spielte das Lied »Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein«.
Angeblich war die Wohnung abgeschlossen, und der Schlüssel steckte von innen. Das sagt Rosemarie, die Hauptzeugin der Anklage. Deswegen sei sie mit ihrem Schlüssel nicht hineingekommen. Daniela sagt, sie habe die Tür nur zugezogen. Der Unterschied zwischen einer zugezogenen und einer von innen verrammelten Tür ist in diesem Fall besonders wichtig. Er kann den Unterschied zwischen dem Urteil »Mord« und dem Urteil »Totschlag« bedeuten.
Fest steht, dass Rosemarie mehrfach zur Wohnung geht, an die Tür, während die Kinder noch leben und so laut schreien, dass alle Nachbarn es hören. Rosemarie sagt, sie sei schwerhörig und habe ihr Hörgerät nicht angehabt. Was sie dann an der Wohnungstür wollte, bleibt unklar. Auch Danielas Freund fährt angeblich zu Danielas Eltern, um sich
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