Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
nach den Kindern zu erkundigen, die Sache kommt ihm, behauptet er, irgendwann doch komisch vor. Angeblich trifft er bei den Eltern niemanden an. Dann fährt er angeblich zu Danielas Wohnung, schaut sich vorm Haus um und geht wieder. Rosemarie ihrerseits fährt angeblich zu Danielas Freund Jörg, um zu schauen, ob die Kinder bei ihrer Tochter sind. Auch dort ist niemand zu Hause, und Rosemarie lässt daraufhin die Sache auf sich beruhen.
Während also die Kinder in der leeren Wohnung um ihr Leben kämpfen, läuft draußen eine schlechte Komödie der Irrungen und Wirrungen ab, in der die Akteure einander dauernd verpassen. Alle müssen sie etwas geahnt haben. Und allen ist es, letztlich, egal.
Nein, am Tod von Kevin und Tobias sind viele schuld, dieeinen im strafrechtlichen, die anderen im moralischen Sinne. Vielleicht spüren sie es, diese vielen, obwohl man nicht so leicht etwas spürt in Kleinberesinchen.
Daniela hat aus dem Gefängnis einen Brief geschrieben, an ihren besten Freund, einen jungen, dicken Holzarbeiter. Sie hat ihm geschrieben, dass sie verzweifelt sei. Der dicke Arbeiter erzählt auf dem Gerichtsflur von dem Brief, verächtlich. Er sagt: »Wenn ich die in die Finger kriege, schlag ich sie tot.«
Während der zwei Wochen, in denen die Kinder starben, hat Daniela den Holzarbeiter zweimal besucht. Er wusste, dass sie von zu Hause abgehauen ist. Und bei ihrem ersten Besuch lebten die Kinder wahrscheinlich noch.
Daniela versteckt ihr Gesicht. Sie schweigt an diesem Verhandlungstag. Die Richterin hat sie streng gefragt: »Wie haben Sie sich das denn vorgestellt, wie Ihre Mutter das mit den Kindern schaffen soll?« Seitdem bockt sie.
Wenn sie mit den Kindern zusammen war, so berichten Zeugen, sei sie immer liebevoll gewesen. Sobald sie aber die Kinder nicht mehr sah, waren sie sofort vergessen. Im Flur steht ihre Oma, die Uroma von Kevin und Tobias, und weint ins Taschentuch: »Ich hab ihr immer gesagt, lass dir wenigstens eine Spirale einsetzen!«
Am 25. Juni kehrt die Ausreißerin Daniela nach Hause zurück. Das heißt: zur Mutter. Sie isst, sie schläft. Am nächsten Tag erst gehen die beiden Frauen in die Wohnung der Tochter, nach den Kindern sehen. Sie öffnen die Tür mit einer Zange und einem Schraubenzieher. Beide wissen wohl genau, was sie erwartet. Aber sie spielen ihr Spiel bis zuletzt. Daniela ruft: »Kevin, Tobias!« Dann sieht sie die Kinder. Ihr erster Satz war: »Mutti, ich habe Angst.« Rosemarie lächelt, als sie den Gerichtssaal verlässt.
Siegfrieds Erbin
Erster Teil. Siegfried.
Der Suhrkamp-Verlag hat sechs Pressedamen. Da ruft man einfach an. »Guten Tag. Sie haben ja jetzt eine neue Geschäftsführerin, die Frau Berkéwicz. Da dachte ich ...« Die Pressedame: »Frau Berkéwicz redet zurzeit mit niemandem.« Ihr Ton klingt, als hätte man im Weißen Haus angerufen und mit arabischem Akzent den Präsidenten verlangt.
»Wissen Sie, ich soll ein Porträt Ihres Verlages schreiben. Mit wem könnte ich mich denn da unterhalten?«
»Sie dürfen, wenn Sie möchten, schriftliches Informationsmaterial abholen.«
Ich denke: Das ist ja genau wie damals, als ich diese Geschichte über Scientology machen musste.
Ich sage: »Danke, das hilft mir sicher sehr.«
»Kommen Sie nächste Woche, Mittwoch, 14 Uhr.« Ich denke: Um mir ein paar Prospekte in die Hand zu drücken, brauchen sie eine Woche Vorlauf. Das ist ja ein extrem schräger Laden.
Suhrkamp. Ein deutscher Mythos. Der edelste Intellektuellenverlag. Viele sagen, dass Suhrkamp niemals pleitegehen kann, völlig egal, wer den Verlag führt. Sie haben einfach zu viele Klassiker im Programm. Brecht, Frisch, Enzensberger, Bloch, das wird immer gelesen. Obwohl. Alles vergeht.
Dem Verleger Siegfried Unseld bin ich mal auf seinem berühmten Kritikerempfang vorgestellt worden. Ich hatte michaus Neugierde eingeschlichen, mit Hilfe der Behauptung, ich sei der neue Lebensgefährte einer Freundin Unselds. Unseld drückte fest meine Hand und sagte: »Ah! Es freut mich wirklich ganz besonders, dass Sie kommen konnten, mein Lieber.«
Er hatte keine Ahnung, wer das ist, aber er war eben so. Peter Handke hat mal beschrieben, wie Unseld reagierte, wenn ein berühmter Autor, zum Beispiel Handke, ihm ein Manuskript geschickt hatte. Er rief an. Er sagte eine Minute lang nichts. Man hörte durchs Telefon nur den schweren Atem von Unseld. Eine Minute lang. Und dann die Worte: »Ein Meisterwerk!« Anschließend legte er auf. Die meisten Autoren
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