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Romanzo criminale

Romanzo criminale

Titel: Romanzo criminale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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und schwenkte ein zerknittertes Blatt Papier.
    – Post! Post für die schöne Patrizia!
    – Gib her.
    Es war ein Brief von Ranocchia. Patrizia legte sich auf die Pritsche und bemühte sich, die winzige und ungleichmäßige Schrift der alten Schwuchtel zu entziffern.
    Ich schreibe Dir vom Flughafen in Casablanca, Marokko. Wolltest Du nicht auch nach Marokko fahren, als wir uns zum letzten Mal gesehen haben, an dem Abend, als die Sache mit den Kaninchen passierte? Ich bin Ingrid, die göttliche Ingrid mit den tadellosen Kostümen und den feuchten Augen eines verletzten Tierbabys. Das kleine Flugzeug lässt seine lächerlichen Motoren an. Der Mann, den ich liebe, hat mich eben geküsst, und laut Drehbuch müsste er mich jetzt dem Mann überlassen, den ich nicht liebe, der mich aber verzweifelt braucht. Für diesen Traum, der übrigens anders als das Original nicht in Schwarzweiß, sondern in Technicolor ist, habe ich mir ein anderes, fröhlicheres Ende ausgedacht. Rick wird mit mir abreisen. Der großzügige, faszinierende, verführerische Rick. Rick, Rick, oh Rick! Hörst du nicht die Sirenen? Hörst du nicht das Dröhnen der Motoren? Soll Laszlo sich doch mit den Nazis herumschlagen. Wir beide gehen. Wir beide fliehen. Wir werden glücklich sein. Wir werden uns nicht wiedersehen, Patrizia. Ich werde nie wieder hören, wie Deine süßen Lippen die verächtlichen Worte aussprechen, die ich so sehr liebte. Sogar das Schweigen und die Leere haben deinem harten slawischen Profil so gut gestanden. Du wirst mir fehlen, aber das Schicksal hat entschieden, und wenn das Schicksal entscheidet, kann man nichts machen. Nichts, verstehst Du? Uups: Man ruft mich. Rick ruft mich. Er ist bereits an Bord. Der Pilot winkt. Ich muss mich beeilen. Ich muss laufen. Aber bevor der Schriftzug
The End
erscheint, möchte ich Dir noch einen Rat geben. Du sollst auch gehen, Patrizia. Du sollst mit Deinem Rick gehen. Wer auch immer es sein mag. Folge ihm, wohin auch immer er mit Dir gehen will. Folge ihm und bleib nicht stehen. Nutze den flüchtigen Augenblick. Lass nicht zu, dass die Scheißwelt Dich aufs Kreuz legt. Leg Du sie aufs Kreuz. Und denke hin und wieder an Deinen ergebenen Ranocchia.
    Patrizia musste lächeln. Der alte Narr! Der alte, schwule, liebe Narr! Er würde ihr fehlen. Hoffentlich war er wenigstens glücklich. Patrizia nickte ein. Und sie träumte. Das war ihr nicht mehr passiert, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie träumte etwas, an das sie sich später nur vage erinnern konnte. Ständig sich wandelnde Bilder, warme Farben, langsam strömendes Wasser und süße Tierschnauzen.

1981
Rien ne va plus
I.
    Alle zehn bis vierzehn Tage ging Sorcio zu Trentadenari, um den Stoff zu testen. Das Koks leckte er sich von den Fingern, das Heroin spritzte er sich in ganz niedrigen Dosen, um die Gefahr einer Überdosis zu vermeiden. Als Tester war er unschlagbar. Sein Urteil bezüglich Reinheitsgrad und Streckmittel hatte die Genauigkeit einer chemischen Analyse. Aufgrund der Qualität des Stoffs wurden dann die Menge der Streckmittel, der Preis für Groß- und Detailhändler und der zu erwartende Gewinn festgelegt. Es war noch nie vorgekommen, dass eine Ladung nicht vor dem nächsten Probetermin verkauft worden wäre. Er erhielt einen winzigen Anteil vom Nettogewinn, den er augenblicklich in Stoff investierte. Sorcio drückte ein, zwei Gramm am Tag. Die Versuchung, ins Volle zu greifen, war groß, aber Sorcio wusste, dass sein Überleben von seinem korrekten Geschäftsgebaren abhing. Seit Vanessa ihn stehen gelassen hatte und mit Trentadenari ging, waren seine Aktien bei der Gruppe sehr gefallen. Eigentlich gehörte er nicht einmal zu ihnen. Keiner brauchte ihn, außer wenn es um Stoff oder um Kinkerlitzchen ging, etwa ein Motorrad zu stehlen oder die Kennzeichen eines Autos zu fälschen. Und selbst in diesen Fällen hüteten sie sich, ihm zu sagen, wozu. Er stand gerademal eine Stufe höher als der allerletzte Junkie. Er durfte sich nicht den kleinsten Fehler erlauben. Als er bemerkte, dass Aldo Buffoni in die eigene Tasche arbeitete, lief er sofort zu Trentadenari, um ihm davon zu erzählen. Auch Vanessa war an diesem Abend da, affektiert und zuckersüß. Aber die freundlichen Worte verdeckten kaum die Verachtung, die sie für ihn hegte. Ein anderer an seiner Stelle hätte die Angelegenheit mit Aldo allein erledigt, von Angesicht zu Angesicht, von Mann zu Mann. Aber er war nun mal kein Mann. Sonst hätte er Vanessa nicht verloren.

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