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Romanzo criminale

Romanzo criminale

Titel: Romanzo criminale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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ich habe ihn vor mir gesehen, mit zerplatztem Schädel, von Blut und Hirnmasse überströmt … und immer wieder dieses Wort, Rache, Rache … Herr Richter, Sie werden es nicht verstehen, aber ich war nur mehr ein Schatten meiner selbst … ich habe Libanese überall gesehen, in der Bar, am Markt, im Kino, im Auto, auf der Straße … er war traurig und wütend, eine Seele im Fegefeuer … hätte ich seinen Klagen gegenüber gleichgültig bleiben sollen? Damit hätte ich ihn ein zweites Mal umgebracht. Dann, an diesem verfluchten Nachmittag … ich war mit meinem armen Freund Ricotta unterwegs, er versuchte mich zu trösten, du musst zum Arzt, sagte er zu mir, du musst dich behandeln lassen … an diesem Nachmittag standen sie plötzlich vor mir, er und sein Bruder, und hinter ihnen ist Libanese aufgetaucht. Er hat mich verärgert angesehen. Als ob er zu mir sagte: Was soll das? Ich finde keinen Frieden und die da sind noch immer am Leben. Da habe ich Ricotta geschnappt, wir sind ihnen gefolgt und dann ist geschehen, was geschehen ist. Es tut mir leid, aber das ist die Wahrheit!
    Und Ricotta, der sich mit seinem neuen Verteidiger gestellt hatte, bestätigte die Version: Als Bufalo an diesem verdammten Nachmittag die Gemito-Brüder gesehen hatte, war er völlig durchgedreht. Wie ein Irrer war er ihnen nachgelaufen. Und er, Ricotta, war ihm gefolgt und hatte versucht, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. Aber inzwischen war es zu spät: Bufalo hatte zu schießen begonnen, die Gemito-Brüder hatten das Feuer erwidert … was hätte er tun sollen? Er hatte ebenfalls geschossen und war bereit, dafür zu büßen.
    Borgia traf Vasta in der Bar und gratulierte ihm zur geschickten Verteidigungsstrategie. Der Anwalt hielt sich bedeckt: Den Kontakt zu Ricotta hatte er schon vor geraumer Zeit abgebrochen und Bufalo war ein armer Irrer. Borgia lachte, klagte sie des vorsätzlichen Mordes an und übermittelte den Akt dem Untersuchungsrichter. Vasta bat um ein Gutachten. Der Richter ernannte zwei Gutachter. Nun ging es darum, die zu kriegen, die noch draußen waren.
V.
    Patrizia hielt die Nase in den warmen Frühlingswind. Vom Trakt der Terroristinnen drang Gelächter herüber. Patrizia folgte den Stimmen, quer durch den blühenden Garten des Frauentrakts von Rebibbia. Eine alte Lebenslängliche, eine Bäuerin, die vor dreißig Jahren ihren gewalttätigen Ehemann mit der Harke erschlagen hatte, hob den Kopf von den Kletterrosen und schenkte ihr ein Lächeln aus ihrem zahnlosen Mund. Patrizia grüßte sie ebenfalls. Die Frau wollte gar nicht mehr entlassen werden, weil sie draußen nicht gewusst hätte, wohin. Das Gefängnis war inzwischen ihr Leben. Würde es ihr auch so ergehen? Am Anfang hatte sie Pläne für die Zukunft gemacht. Es waren wirre Pläne. Gehen, bleiben, neu anfangen, verzichten. Dann hatte sie es aufgegeben. Das Gefängnis hatte auf seine Weise auch etwas Gemütliches. Palma hatte ihr mithilfe von I-Ging die Zukunft vorausgesagt.
    – Merkwürdig, Patrizia. Es sagt, du würdest ein falsches Leben führen.
    – Ganz was Neues!
    – Es sagt, du hättest Lehrerin werden sollen. Oder Nonne.
    Bei den Verhören schwieg sie mittlerweile. Sie wusste, dass sie mit ihrem Verhalten alles schlimmer machte, aber im Grunde hatte sie niemandem etwas zu sagen. Niemandem. Nicht einmal Dandi. Nicht einmal dem Polizisten, dieser Bestie, der sie immer mit seinem melancholischen und irren Blick ansah, als wollte er sie fragen: „Wer bist du, Patrizia, was ist in dir?“ War es denn so schwer zu verstehen, dass es nichts zu entdecken gab, nichts, rein gar nichts, außer einer mit Wut und Resignation gefüllten Leere? Patrizia ging weiter, die Strahlen der intensiven Maisonne streichelten sie. Ungehindert betrat sie den Bereich der „Genossinnen“. Das war strengstens verboten. Aber die Wärterinnen waren mehr als bereit, für Dandis Freundin beide Augen zuzudrücken. Die Aufseherinnen wussten nicht oder ignorierten, dass sie sich seit Monaten weigerte, mit ihm zu sprechen. Die Terroristinnen sonnten sich im Bikini. Die berühmte Sonne von Rebibbia. In der Luft lag der Duft von Rosen und Sonnenöl. Die Terroristinnen lasen sterbenslangweilige Bücher mit unverständlichen Titeln und lachten verächtlich über die lebenslange Strafe, die die räudigen Richter ihnen aufgebrummt hatten. Palma löste sich von der Gruppe und kam ihr lächelnd entgegen. Palma stammte aus einer guten sizilianischen Familie, war vierundzwanzig Jahre alt und

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