Romanzo criminale
ließ sie erschauern. Oben am Himmel war eine schmale Mondsichel. Das Meer warf sich tosend gegen den dürftigen Damm aus Felsblöcken. Mitten in dem Meer aus Schwarz sah man die Lichter von Capri. Sie hatte zu ihm gesagt: Ich wollte immer schon mal nach Capri fahren. Er hatte sofort Karten für die Überfahrt bestellt. Im letzten Augenblick hatte sie unter einem Vorwand abgesagt. Sie war schon oft auf Capri gewesen. Mit Männern, mit Frauen, mit Männern und Frauen, an deren Gesichter sie sich nicht mehr erinnerte. Aber sie erinnerte sich an ihr Lachen. An die Zoten. An die ständige Missachtung. An den Augenblick, in dem sie bezahlten. Damals war sie weder unglücklich gewesen noch glücklich. Aber auch jetzt war sie weder das eine noch das andere. Patrizia zündete die zweite Zigarette mit der Kippe der ersten an und warf diese vom Balkon. Sie hätte gern die Lichtspur verfolgt, bis hinunter zum Sandstrand. Aber die Glut erlosch auf halbem Weg. Dann hörte sie, wie die Glastür geöffnet wurde, und spürte, dass er hinter ihr stand. Instinktiv legte sie ihren Kopf an seine Brust. Scialoja umarmte sie, küsste sie auf den Hals.
– Komm rein, hier draußen ist es eiskalt.
Mit nacktem Oberkörper stand er da, der Macho. Lächelnd ließ Patrizia sich hineinführen.
– Nachdenklich?, fragte er und holte zwei kleine Champagnerflaschen aus der Zimmerbar.
– Nein.
– Möchtest du darüber sprechen?
– Später, flüsterte sie.
Das war das Wort, das sie in diesen Tagen am häufigsten gebrauchte. Später. Sie hatte ihn am Tor des Kommissariats aufgehalten, sie hatte ihm mit Dandis Porsche den Weg versperrt.
– Gehen wir zu dir, hatte sie zu ihm gesagt, ich möchte sehen, wo du wohnst.
In seiner Wohnung, die sich in der Nähe der Universität befand, hatte sie die Nase gerümpft. Der halbleere Kühlschrank hatte sie traurig gemacht. Sie hatte ihm verboten, sich zu duschen.
– Ich möchte, dass du genauso dreckig bist wie ich. Du sollst spüren, wie es im Knast riecht.
Sie hatten sich wie Mann und Frau geliebt. Er hatte lange ihren Hals und ihre Brüste geküsst. Sie hatten sich heftig geliebt.
– Erzähl mir was von dir, hatte er sie aufgefordert.
– Später.
– Bleiben wir zusammen … wenigstens eine Weile?
– Später.
– Ich möchte dir so viel erzählen …
– Später.
Am nächsten Morgen waren sie nach Positano gefahren.
Als er den Porsche gesehen hatte, war er blass geworden. Aber er war ihr gefolgt. Er hatte alles und allen abgesagt, am Telefon. Er war jetzt bei ihr. Er war glücklich.
– Auf die unmögliche Liebe, sagte er und prostete ihr zu.
Patrizia leerte ihr Glas in einem Zug.
– Komm her, befahl sie.
Er warf sich ihr zu Füßen. Sie zerkratzte seine Wange. Er stöhnte vor Lust. Sie packte seinen Hals und drückte zu. Er warf sie aufs Bett wie ein Kind, wie einen Korb Federn. Patrizia starrte mit weit geöffneten Augen an die Decke. Seit jener Nacht im Knast hatte sie nicht mehr geträumt. Palma hatte gesagt: Pass auf dich auf. Ranocchia hatte gesagt: Leg alle aufs Kreuz. Patrizia versuchte eine Frau zu sein, seine Frau. Patrizia schloss die Augen. Er flüsterte ihr zärtliche Worte ins Ohr, sie beschimpfte ihn. Patrizia schlug die Augen auf. Sie sah ein vor Lust verzerrtes Gesicht, hervortretende Adern, auf den Muskeln, die vor Anspannung zitterten, um den Orgasmus zurückzuhalten, glänzten Schweißtropfen. Sie entzog sich ihm mit einem Schaudern. Er verstand nicht. Wie auch? Sie hatte einen anderen Mann gesehen. Einen der vielen.
– Machen wir es von hinten, sagte sie versöhnlich, mit einem rauen Flüstern.
Scialoja packte sie an den Brüsten. Drang in sie ein. Patrizia schloss wieder die Augen.
– Komm, seufzte er, kommen wir gemeinsam … Liebling …
Noch vor dem Morgengrauen schrieb sie ihm einen kurzen Abschiedsbrief, nahm die Tasche, die sie schon am Vorabend gepackt hatte, bezahlte und beschwor den Hotelmanager, einen alten Freund von Ranocchia, ja den Mund zu halten. In der Garage wartete Dandis Porsche auf sie.
Als Scialoja aufwachte, war ihm alles klar. Um nicht zu weinen, nahm er eine eiskalte Dusche. Den Brief fand er, als er seine Sachen wahllos in den Rucksack warf. Darin stand nur das Wörtchen „Waffen“ und eine Adresse.
VII.
Als sie im üblichen Restaurant zu Abend aßen, fragte Zio Carlo Dandi und Nembo Kid, ob sie bereit wären, „ihm einen Gefallen zu erweisen“.
Dandi sagte sofort zu, aufs Geratewohl. Zio Carlo gefiel dieser Junge immer
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