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Romanzo criminale

Romanzo criminale

Titel: Romanzo criminale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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der Begegnung im „fiktiven“ Büro hatte sich Scialoja ein paar Informationen über Vecchio besorgt. Die Quellen widersprachen sich. Einerseits: Vecchio war der bevorzugte Gesprächspartner der Paralleldiplomatie, die Italien und die USA in Form unterirdischer Kanäle miteinander verband. Der Brückenkopf des eingefleischten Antikommunismus. Andererseits: Vecchio war ein Moderater. Er brachte die Extremisten mit Weisheit und Ruhe zur Räson. Er war auch jenseits des Vorhangs gern gesehen. Nein, Vecchio war bloß ein altes Wrack, ein Überbleibsel aus alten Zeiten, ein Lockvogel, ein Strohmann, den man in ein unbedeutendes Büro ohne Männer und Mittel verbannt hatte. Aber was. In kaum einem anderen Fall stimmte die offizielle Rolle so wenig mit der effektiven Macht überein: Die offizielle Rolle war mittelmäßig und peripher, die effektive Macht obskur und uneingeschränkt. Vecchio war eine Vogelscheuche, die in Augenblicken der Krise aufgestellt wurde. Vecchio war der Brückenpfeiler der Geheimdienste im letzten Viertel des Jahrhunderts. Anhand gewisser Details, die wie im Märchen immer wieder auftauchten, zuweilen in vergrößerter und verzerrter Form, begriff Scialoja, dass Vecchio selbst die Gerüchte in Umlauf setzte. Er selbst nährte die bangen Fragen, die exzentrischen Gerüchte, den ängstlichen Respekt oder das ironische Gelächter, das die Befragten unweigerlich anstimmten, wenn sein Name fiel. Vecchio war ein Anarchist. Vecchio hatte Spaß. Vecchio hatte auf seine Weise ein Abkommen vorgeschlagen. Wir werden dir etwas oder jemanden zum Fraß vorwerfen, aber auf den großen Fisch verzichtest du, der ist nichts für dich. Die Nachforschungen, die von seinem Bericht ausgegangen waren, dümpelten vor sich hin. Niemand hatte mehr den Mut, sie abzuwürgen – die Zeiten hatten sich geändert. Aber angesichts der nur mehr selten stattfindenden Verhöre, des achtlosen Blicks in die Unterlagen, der spärlichen und bald wieder vergessenen Artikel in linken Zeitungen drohte sich die Spur zu verlieren, in den Kanälen des perversen Kompetenzdschungels zu versickern. Es blieb also nichts anderes übrig, als sich wieder einmal auf Morde und Waffen zu konzentrieren. Vecchio hatte ihn wissen lassen, dass irgendjemand bezahlen würde. Die, die unbedingt auf der Straße bleiben wollten. Oder die, die so schlau waren, die Sturmhaube abzulegen und stattdessen Nadelstreif trugen. Aber erfüllte Vecchio das Abkommen? Zeta und Pigreco schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Offiziell waren sie auf Auslandsmission, hatte man irgendwo gelesen. Ranocchia war nicht belästigt worden. Scialoja traf ihn eines Abends in den Diokletianthermen. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst, ging aber immer noch auf den Strich.
    – Das ist das Gesetz des Begehrens, mein schöner Junge!
    Während sie in einem abgetakelten Lokal hinter dem Bahnhof einen Whisky tranken, fragte sich Scialoja, welcher arme Teufel wohl mit ihm ins Bett ging. Ranocchia bestand darauf, den Whisky zu bezahlen.
    – Ich soll Ihnen einen schönen Gruß von Patrizia ausrichten.
    – Mehr nicht?
    – Was haben Sie erwartet? Eine regelrechte Liebeserklärung? Besuchen Sie sie und versuchen Sie Ihr Glück. Du lieber Gott, ihr Männer seid doch unerträglich! Immer muss man euch alles erklären, alles von A bis Z. Kein Sinn für Fantasie, für das Geheimnisvolle!
    Sie wollte ihn also sehen. Scialoja ging nicht hin. Er fragte Ranocchia nicht einmal, wo er sie finden würde. Er rührte keinen Finger, um sie zu finden. Die Wunde, die sie ihm in Positano zugefügt hatte, brannte noch immer, doch der dumpfe, pochende Schmerz würde, wie er hoffte, bald aufhören. Sie rief ihn im Kommissariat an, als er gerade einen Rowdy aus Cinecittà verhörte, ein brutaler Irrer, der eine Vierzehnjährige vergewaltigt, erwürgt und die Leiche verbrannt hatte. Ranocchia war gestorben. Scialoja verfluchte Vecchio, setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um den Autopsiebericht in die Hände zu bekommen. Es fiel ihm schwer, ihm Glauben zu schenken, aber schließlich musste er sich damit abfinden. Nein, es gab kein Geheimnis. Ranocchia hatte einen Gürtel genommen und sich an einem Balken erhängt. Er hatte beschlossen, Schluss zu machen, das war alles. Als sie ihn aufschnitten, fanden sie mehr Krankheiten als in einem Lazarett. Um seiner zu gedenken, konnte man immerhin sagen, er sei stilvoll abgetreten, nämlich dann, als klar war, sein hässlicher Körper würde ihm nicht einmal mehr

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