Romanzo criminale
den Achseln zu zucken.
– Kommissar Scialoja …, sagte Borgia reichlich verlegen.
– Wir haben uns bereits kennengelernt, unterbrach ihn Vecchio mit verächtlichem Lächeln. Ja, Kommissar. Genau. Feurbrunner verkauft ein wertvolles Modell des
Frankfurter Schachautomaten
aus dem Jahr 1787. Ich wäre wirklich gerne dort …
Scialoja ging um den Schreibtisch herum und nahm neben seinem Richter Platz. Borgia sah ihn verwundert an.
– Haben Sie jemals von einer Person namens Larinese gehört?
– Vage.
Scialoja setzte zu einer Brandrede an, die so wenig durchdacht war, dass Vecchio bald nicht mehr zuhörte. Er konzentrierte sich lieber auf die Gesichter. Wie über viele andere besaß Vecchio auch einen umfangreichen Akt über Borgia. Vertrauliche Mitteilungen, Gerüchte, Analysen der Verfügungen, die unvermeidlichen Abhörprotokolle. So wusste er zum Beispiel, dass bei Borgia der übliche Vorwurf, ein Kommunistenfreund zu sein, nicht griff. Der stellvertretende Staatsanwalt hatte keine Verbindung zu den Clowns der linken Justiz. Er war ein Mann der Ordnung. Ein politisch farbloser Moralist. Worin seine Stärke, aber auch seine Schwäche bestand. Scialoja hingegen fuchtelte in seinem billigen Anzug herum, der viel zu eng für seinen muskulösen Körper war. Erloschene Zigarre zwischen den Zähnen. Ausdruck eines geläuterten Scharfmachers. Hohe Stirn, dunkle, durchdringende Augen. Ein attraktiver Mann, das hatte er bereits früher festgestellt. Einer mit einer weißen Weste, auch wenn er lobenswerterweise dazu neigte, auf die Verfahrensordnung zu pfeifen. Als er ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er ihn mit dem hl. Georg verglichen, dem Drachentöter. Ein Krieger, der Gott auf seiner Seite hatte. Jetzt, wo er ihn genauer betrachtete, schien sich ein neuer Ausdruck auf seinem Gesicht abzuzeichnen, wie von einer erloschenen Flamme. Weniger Furor und mehr Verstand. Mit einem Anflug von Zynismus. Der junge Mann wurde allmählich erwachsen, verlor die Unschuld. Er war auf dem besten Weg, ein Arschloch zu werden. Alles in allem waren der Richter und sein Bulle ein schönes Paar. Aber das reichte noch nicht, um Vecchio aufs Kreuz zu legen. Diesmal zumindest nicht. Beiden fehlte etwas. Um ein brutales, aber aussagekräftiges Bild zu gebrauchen, das seinen Partnern bei der Agentur bestimmt gefallen hätte: Scialoja hatte Mumm in den Knochen, aber keine Macht. Borgia hatte Macht, aber keinen Mumm in den Knochen. Letzten Endes waren sie nur eindimensionale Menschen. Treue Diener des Staates. Pfui.
– Sind Sie fertig?, fragte Vecchio höflich, als Scialoja endlich eine Pause machte. – Ja? Gut. Jetzt, Herr Doktor Borgia, erzähle ich Ihnen eine andere Geschichte, die wahre Geschichte, wenn Sie ein wenig Geduld haben …
Mit einstudierter Langsamkeit ließ Vecchio das Schloss seines Aktenköfferchens aufspringen und schwenkte einen dünnen Akt.
– Ich könnte Ihnen stundenlang von einem meiner Agenten erzählen, den ich leider aus dem Dienst entfernen musste, weil er sich einige Pflichtverletzungen hat zuschulden kommen lassen und weil er darüber hinaus an einer diagnostizierten psychotischen Depression leidet … dass er mir gegenüber Groll hegt … dass er mich seit Monaten verleumdet … aber ich beschränke mich darauf, Ihnen diese Unterlagen zu überreichen. Lesen Sie sie mit der Ihnen üblichen Sorgfalt und Sie werden erkennen, was die ganze Angelegenheit in Wirklichkeit ist: eine gewaltige Seifenblase.
Borgia verschanzte sich hinter einem eingeschüchterten Lächeln, das nach
excusatio non petita
aussah. Letzten Endes steckte doch in jedem Richter ein kleiner Maioli. Der Prolet Scialoja hingegen brüllte vor Zorn.
– Sie decken die Mörder Moros! Sie haben Larinese umbringen lassen! Pigreco hat ausgepackt. Es wird Ihnen nicht gelingen, ihn für verrückt zu erklären.
– Jetzt reicht es aber, Scialoja!, wies ihn Borgia zurecht, und zu Vecchio sagte er milde:
– Herr Doktor, natürlich handelt es sich nur um eine Annahme …
– Ich danke Ihnen für die Richtigstellung, Herr Richter. Ich möchte nämlich nicht, dass Ihr tüchtiger Mitarbeiter … dessen vielfache Fähigkeiten ich in der Vergangenheit bereits kennenlernen durfte … sich von einem Gefühlsausbruch überwältigen lässt …
Scialoja warf dem Staatsanwalt einen wutentbrannten Blick zu, doch der wandte klugerweise den Blick ab. Vecchio musterte Scialoja. Wenn der die verschlüsselte Botschaft verstanden hätte, hätte sie
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