Romanzo criminale
folgendermaßen gelautet: Nicht jetzt, Junge, und nicht alles. Du weißt zwar was, aber das reicht nicht. Du bist nur ein Nebenzweig des großen Flusses. Bleib, wo du bist, übertreib nicht. Aber der Polizist war von einem lästigen Dämon besessen, der sich von der Vernunft kaum kontrollieren ließ. Vecchio verspürte die heftige Versuchung, ihn zu einem Mitspieler zu machen. Der Gestank von Idealismus beleidigte seine feine Nase. Vecchio nahm sich vor, sobald wie möglich etwas zu unternehmen. Dem jungen Mann würde es nicht schaden, mit dem Kopf in die Scheiße getunkt zu werden.
Das Gespräch war so gut wie beendet. Borgia blätterte im Akt und auf seinem schmalen, zerfurchten Gesicht zeichneten sich zwei widersprüchliche Regungen ab: einerseits Kenntnisnahme der Tatsachen und andererseits Erleichterung. Borgia wusste, dass Scialoja ins Schwarze getroffen hatte. Aber Vecchio hatte eine zufriedenstellende Erklärung geliefert. Aufgrund des Mangels an Beweisen war er nicht verpflichtet, gegen ihn vorzugehen. Scialoja kapierte und erstarrte, schlug beim Hinausgehen die Tür hinter sich zu. Der arme, kleine Richter! Am liebsten hätte Vecchio ihm erklärt, worin der Trick bestand. Es lag auf der Hand, dass die Verhaftung Olandeses eine Kettenreaktion hervorrufen würde. Doch er hatte rechtzeitig Maßnahmen ergriffen. Er hatte Pigreco geopfert, das schwächste Glied der Kette. Ein gelungener Schachzug. Die einzige Unbekannte war die Zeit. Borgia und Scialoja hatten saubere Ermittlungen angestellt. Zu saubere. Sie hatten ihm genau das gegeben, was er brauchte. Wenn sie einen Haftbefehl erlassen hätten, noch bevor er ein Dossier über den aus dem Dienst entfernten Agenten hatte erstellen können … Vecchio stand auf, wobei er sich auf die Armlehnen stützte. Bei diesem Anblick musste Borgia an einen erschöpften Dickhäuter denken, in dessen wässrigen Augen Trauer um die verlorene Vitalität lag.
– Wer sind Sie wirklich?
Vecchio kniff die von weißen Wimpern umrandeten Augen zusammen, senkte den Kopf und gab keine Antwort. Im Grunde war das die einzige Frage, die wirklich einen Sinn hatte.
Vierundzwanzig Stunden später wurden die Ermittlungen zum Tod Larineses vom Oberstaatsanwalt übernommen, der sie an einen jungen Kollegen weitergab.
Innerhalb von zehn Tagen tauchten Informanten, Namen, Daten, Zahlen auf. Sechs vorbestrafte Kleinkriminelle wurden rasch hintereinander festgenommen. Alle gestanden, an einem großen, von Larinese geplanten Raubüberfall teilgenommen zu haben. Doch dieser, sagten sie, hatte das Abkommen gebrochen und einen Großteil der Beute behalten. Es kam nie heraus, wer von ihnen die tödlichen Schüsse abgegeben hatte, aber der Fall war geklärt. Pigreco wurde von allen Vorwürfen freigesprochen und für unzurechnungsfähig erklärt. Als die Wogen sich geglättet hatten, ließ Vecchio Borgia eine Ausgabe der
Strategie des Staatsstreichs
von Edward Luttwak zukommen. Ein veraltetes Buch, das aber noch immer eine gewisse Gültigkeit besaß. Auf Seite 33 hatte er einen Satz unterstrichen: „Der Staatsstreich besteht in der Durchdringung eines begrenzten, jedoch wesentlichen Sektors des Staatsapparates, worauf dieser Sektor benutzt wird, um der Regierung die Kontrolle über alle anderen Sektoren zu entziehen.“ Das war die Antwort auf Borgias Frage. Das war genau das, was Vecchio immer schon machte. Kontrollieren. Weder rechts noch links. Ohne die Absicht, Regierungen zu untergraben und durch verblichene Fotos zu ersetzen. In Eigenregie. Aber stets gegen die vertrottelten Menschen, die sich weigerten, zu verstehen und zu akzeptieren. Eine anarchische Form von Kontrolle.
IV.
Nero gab nicht klein bei. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, Freddo zu retten. Er wandte sich noch einmal an Mainardi. Doch der Arzt wollte nichts davon wissen.
– Ich habe mich informiert! Ich habe mit meinem Anwalt gesprochen! Die Dummheiten, die wir als Jungs gemacht haben … sind alle verjährt! Ich riskiere nichts und will nichts mehr von dieser Geschichte wissen!
Sie befanden sich in Mainardis Dachgeschosswohnung im Fleming-Viertel. Nero riss die Glastür auf und zwang den Arzt, ein paar Schritte auf der Terrasse zu machen. Der Arzt schimpfte vor sich hin. Nero hob ihn auf und ließ ihn kopfüber über die Balustrade hängen.
– Wie viele Meter, glaubst du, sind wir vom Boden entfernt?
– Lass mich runter! Bist du verrückt?
– Du bist doch Arzt: Glaubst du, dass du es überleben
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