Romanzo criminale
Zigaretten kam sie heraus, blickte sich um und ging entschlossen davon, wobei sie sich alle fünf bis sechs Schritte umblickte. In einem Handbuch des Antiguerillakampfes, das im Büro herumlag, hatte er einmal gelesen, dass der Anführer der Partisanen das Treffen immer als Erster verließ. Scialoja ließ ihr fünfzig Meter Vorsprung, dann fuhr er los. Die anderen verließen grüppchenweise das Lokal. Scialoja fuhr im Schritttempo, mit ausgemachten Scheinwerfern. Sandra blieb bei ihrer alten Vespa stehen und suchte den Schlüssel in der Tasche. Scialoja machte die Scheinwerfer an. Er stellte sich quer zur Fahrbahn. Dann stieg er aus und ging ihr entgegen.
– Ciao, Sandra.
– Nico, bist du’s wirklich? Wie siehst du denn aus?
Er durchsuchte sie, ohne ihr Zeit zu geben, sich von der Überraschung zu erholen. Sie war nicht bewaffnet. Ungeachtet ihres Protests packte er sie und stieß sie ins Auto. Mit quietschenden Reifen fuhr er los. Die Genossen hinter ihm hatten nichts bemerkt: eine gelungene Tarnung!
Das Kellerlokal in der Via del Mattonato war eine Art Tempel der alternativen Lebensart: vier Tischchen, gedämpftes Licht, Kräutertees und makrobiotische Kekse. Beißender Shitgeruch. Leise Musik von Claudio Rocchi und Ravi Shankar. An den Wänden verblichene Batiken, auf denen Gottheiten mit Elefantengesicht zu sehen waren.
– Ganesh, der die unmöglichen Wünsche erfüllt, sagte Sandra spöttisch.
– Wie unsere Heilige Rita da Cascia.
– Ich wusste nicht, dass du gläubig geworden bist.
– Und du esoterisch.
– Ich hasse die Esoteriker. Es sieht aus, als ob sich die Welt für sie nicht verändert hätte.
– Da gebe ich dir Recht. Aber das hier ist ein ruhiger Ort. Hier können wir uns unterhalten.
– Unterhalten? Ich dachte, du hättest mich entführt?
– Entschuldige, aber ich musste sichergehen, dass du nicht bewaffnet bist.
Sandra zuckte mit den Achseln. Ein Mädchen mit verschreckter Miene nahm die Bestellungen auf. Sie bestellten eine Flasche Wein. Das Mädchen erklärte, dass sie keine Lizenz besaßen, Alkohol auszuschenken. Sie einigten sich auf Kräutertee. Sandra zündete sich eine Zigarette an.
– Wohnst du immer noch in dem Drecksloch in der Via Pavia?
– Und du spuckst noch immer auf die Perserteppiche deiner Familie?
– Ich mag dich gern, Nicola, du schaust nicht einmal aus wie ein Polizist.
– Ist das ein Antrag?
Das Mädchen brachte ein Basttablett mit zwei dampfenden Tassen darauf.
– Prost, sagte Scialoja.
Sie lachte. Er nahm ihre Hand zwischen die seinen. Sie zog sie zurück. Er blickte ihr in die Augen.
– Wie weit steckst du mit drin?
– Was kümmert dich das?
– Ich möchte verstehen. Du kommst aus einer bürgerlichen Familie. Warum hasst du deine Leute so sehr?
– Weil ich sie kenne. Ich weiß, wozu sie fähig sind. Man muss sie aufhalten, bevor es zu spät ist.
– Und wie? Mit Kugeln?
– Warum nicht? Aber im richtigen Moment …
– Wann kommt der Moment?
– Früher oder später. Jedenfalls noch nicht jetzt …
Der Tee schmeckte bitter, oder vielleicht hatten ihm die vielen Zigaretten den Geschmack verdorben. Scialoja nahm wieder ihre Hand. Diesmal zog sie sie nicht zurück.
– Hast du jemals geschossen?
– Nein.
– Ich glaube dir. Aber du musst verschwinden, Sandra.
– Du glaubst mir? Vielen Dank. Meinst du wirklich, ich gäbe was auf deine Meinung?
– Du musst verschwinden, Sandra. Sofort.
Er erzählte ihr alles. Sie hörte ihm schweigend zu. Als er fertig war, fuhr sie sich mit der Hand durch die Haare und lächelte ihn an. Dann gab sie ihm ganz plötzlich eine Ohrfeige. Irgendjemand drehte sich um und sah sie an. Ein Esoteriker faltete die Hände und sagte „Om!“. Das Mädchen mit dem verschreckten Gesichtsausdruck begann zu zittern. Sandra stand auf und ging entschlossen zum Ausgang. Er sah ihr nach, fasziniert von ihrem Hüftschwung. Hatte sie wirklich was von der anderen, von Patrizia? Oder war es nur seine Fantasie? Begierde erfasste ihn. Am liebsten wäre er ihr nachgegangen. Ihr gegenübergetreten. Hätte ihr die ganze verdammte Geschichte noch einmal erzählt, von Anfang bis zum Ende. Hätte sie gezwungen, ihm Gehör zu schenken. Sie wenn nötig durchsucht. Er blieb unbeweglich sitzen. Er hatte auf sie gewartet. Er hatte mit ihr gesprochen. Sie wusste Bescheid. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Es war ihr Leben. Scialoja zündete sich die letzte Zigarette an und bestellte noch einen Kräutertee.
Am Tag darauf am
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