Romanzo criminale
waren, Ende des Monats Geld zu kassieren und sich über Ausgaben und Kinder zu beschweren. Libanese hingegen schien völlig allein auf der Welt zu sein: Niemand wollte ihn sehen und auch er verlangte niemanden zu sehen.
Um mit der Außenwelt zu kommunizieren, benutzten sie die Mariano. An einer Anwältin, die sich mit ihrem Mandanten unterhält, ist nichts Verdächtiges. Außerdem dürfen Anwälte nicht durchsucht werden. Wenn sie also etwas mitzuteilen hatten, leitete sie den Kassiber an Trentadenari weiter, ein gut funktionierendes System. Es fehlte auch nicht an Geld, Paketen und Unterstützung für die Familien draußen. Dank der von Libanese erdachten Organisation. Nur Dandi hatte ein wenig Scheiße gebaut. Er war sauer geworden, als man ihm untersagte, Kontakt zu Patrizia aufzunehmen. Für ihn gab es nur Patrizia, aber Libanese hatte das Formular 80 mit der Deklaration der häuslichen Gemeinschaft vor seiner Nase zerrissen.
– Du vertraust ihr nicht. Du warst vom ersten Moment an gegen mich!
– Wir haben eine Regel aufgestellt, die für alle gilt: keine Fremden.
So musste sich Dandi beim wöchentlichen Besuchstermin mit seiner Gina zufriedengeben. Dabei war Gina schön, oder es zumindest einmal gewesen. Ein üppiges Mädchen mit einem wunderbaren unbedarften Lächeln. Allerdings schien sie nicht ganz dicht zu sein. Sie machte zwar nichts Auffälliges, aber sie verfiel immer öfter in einen katatonischen Zustand. Sie brauchte nur ein Bier zu trinken oder auf einen Bildschirm zu starren. Oder auf ein Heiligenbildchen, denn abgesehen von ihren sonstigen Verrücktheiten hatte sie in letzter Zeit auch noch eine Leidenschaft für Padre Pio entwickelt. Sie wurde fett und dann wieder plötzlich ganz dünn. Schuld daran war ihr Mann, der sie seit geraumer Zeit nicht mehr als Frau behandelte. Und nur eine Verrückte konnte sich von einem wie Dandi bescheißen lassen. Er war durch und durch pervers. Wer sonst wäre auf die Idee gekommen, die arme Gina zu benutzen, um seiner Patrizia Liebesbriefe zu schicken? Aber sie ließ alles mit sich geschehen, sagte zu allem ja und amen, akzeptierte sogar die schwere Aufgabe, als Postillon d’Amour für diese gelangweilte Hure herzuhalten, die sie eine ganze Stunde am Haustor warten ließ und ihr dann dreißig Sekunden Aufmerksamkeit schenkte, bevor sie sie wieder fortschickte. Und zu Dandi sagte sie: Sie hat gesagt, du fehlst ihr und sie denkt immer an dich.
Nur auf einem hatte Gina bestanden. Wenn sie schon als Kupplerin herhalten musste, dann sollte er wenigstens an sein Seelenheil denken! Und sie hatte Dandi das Versprechen abgenommen, keine Messe auszulassen, sogar die heilige Hostie zu schlucken und davor zur Beichte zu gehen. Und er hielt sein Versprechen, Libanese sei Dank, der ahnte, welchen Nutzen sie davon haben konnten.
– Du gehst hin, haftest dich auf die Fersen des Kaplans und sagst ihm, du hättest eine mystische Krise.
– Ich? Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank, Libano?
– Du, niemand anderer als du. Auf diese Weise gehst du uns nicht immer mit deiner Patrizia auf die Nerven, und wenn wir vielleicht mal was brauchen, eine kleine Information, einen kleinen Gefallen … die Pfarre ist eine große Mutter und Don Dante ein anständiger Mann.
Moral der Geschichte: Der reuige Dandi ministrierte bei der Messe und verbrachte viele Stunden in der Bibliothek, wo er sich mit den Prinzipien der heiligen Mutter Kirche vertraut machte. Hin und wieder wurde ein Kassiber hinausgeschleust – an einen Cousin, einen Vater, den Ärmsten, der so viel Pech hatte, obwohl er so anständig war; an einen braven Jungen, einen Neapolitaner, der sogar einen Schulabschluss hatte – und die wichtigen Nachrichten erfuhren sie sogar vor der offiziellen Sendung. Die Nachricht ist die Seele des Geschäfts. Wie Libanese sagte.
IV.
Der Mai hatte in Rom mit der ganzen dem Frühling zur Verfügung stehenden Vehemenz Einzug gehalten. Aber es war ein eigenartiger Frühling. Ein trauriger Frühling. Die Stadt verharrte in einem Zustand lautloser Angst, wie unter einem Styroporregen. Die Stadt war wie in einem gläsernen Reliquienschrein eingesperrt, in dem die Alten das Bild der Muttergottes aufbewahren. Oder das Bild Christi mit blutendem Herzen und das Antlitz Aldo Moros. Scialoja träumte von Aldo Moro. Millionen Italiener träumten von Aldo Moro. Seine Kollegen träumten von Aldo Moro. Sie träumten, dass sie genauso enden würden wie die fünf Märtyrer in der Via Fani. Seine
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