Romeo für immer, Band 02
wehren. »Bitte!« Ich falte meine Hände wie zum Gebet und flehe ihn an: »Ich tue alles, was du willst. Du kannst meine Seele für ewig haben. Du kannst mich einsperren und quälen und die Nachwuchssöldner dabei zusehen lassen. Ich tue alles … «
»Jetzt komm, Rosaline.« Der Mönch streckt ihr die Arme entgegen. »Beeile dich.«
Als ich mich umdrehe, ist es zu spät. Rosaline hat sich schon zur anderen Seite des Glockenturms geschlichen. Sie steht nur wenige Meter von dem Mönch entfernt und nähert sich seinen ausgestreckten Armen, als hielte er ihr Leben in seinen Händen.
Was ja auch der Fall ist. Er wird sein Vorhaben gleich in die Tat umsetzen.
Meine Gedanken rasen.
Vielleicht tötet er sie schnell, um sich an meiner Trauer zu weiden. Oder er tut es langsam, lähmt mich mit seiner Magie und zwingt mich, ihren Qualen zuzusehen, bis sie um den Tod bettelt und ich ihn anflehe, sie umbringen zu dürfen, damit sie nicht länger leiden muss. Damit würde ich erneut die unverzeihlichste aller Sünden begehen, und alles bliebe beim Alten. Ich würde bis ans Ende meiner Tage die Dunkelheit durchwandern, bis ich mich nicht mehr daran erinnere, wie sich der wärmende Schein der Sonne auf meinem Gesicht anfühlt oder das Glück, meine Liebste in den Armen zu halten.
Meine Liebste. Ariel ist weg, ich bin alleine. Rosaline stirbt im Glockenturm und Julia in ihrem Grab. Diese Geschichte endet noch sehr viel tragischer als die erste. ICH HABE VERSAGT .
27
Romeo
I ch habe versagt. Sie nähert sich seinen geöffneten Armen und hat ihn fast schon erreicht. Er steht da und erwartet sie mit seinem fratzenhaften Lächeln.
Die Erkenntnis trifft mich mit voller Wucht, und das Gewicht meines Versagens wiegt so schwer, dass ich das Gefühl habe, die Holzbohlen unter meinen Füßen brechen jeden Moment unter dieser Last zusammen. Ich werde in die Tiefe fallen, mir sämtliche Knochen brechen und verbrennen. Oder …
Jetzt ist sie in seinen Armen, seine Hände legen sich um ihren Nacken. Noch ist es nicht zu spät.
Ich höre auf zu denken, aus Angst, er könne mir anmerken, was ich vorhabe. Ich bewege mich pfeilschnell und überwinde die Meter zwischen uns in einem Wimpernschlag. Als die beiden vor mir zurückweichen, bin ich bereits so nah, dass ich den Rauch auf der Kutte des Mönchs rieche und die Furchen auf seiner Stirn erkenne – und das Aufleuchten in Rosalines Augen.
Ariel! Sie ist es! Ich sehe sie, sie verbirgt sich in Rosaline. Ich zweifle nicht eine Sekunde daran und lächle in mich hinein.
Ich kenne meine kämpferische Liebste genau. Und sie mich. Wir reagieren gleichzeitig und bewegen uns synchron, als seien wir eins. Unsere Finger krallen sich in sein Gewand. Bevor der Mönch uns zu fassen bekommt, gehen wir in die Knie, und seine Hände greifen ins Leere. Wir lassen ihn über unsere Schultern kippen und stoßen ihn hinunter in die kreisrunde, dunkle Tiefe im Zentrum des Glockenturms. Und er fällt und schreit und fällt …
Obwohl ich es mit eigenen Augen sehe, wage ich es nicht zu glauben. Auch nicht beim Blick in seine vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen. Selbst als das Feuer seine Kutte erfasst, die wie trockenes Gras sofort in Flammen aufgeht, sein Körper am Boden aufschlägt und seine Gestalt in den Flammen verbrennt, balle ich immer noch die Fäuste aus Angst, er könnte aufstehen und mich holen kommen.
»Feuer gehört zu den wenigen Dingen, die einen Söldner töten können. Das überlebt er nicht«, sage ich. Zu meiner und Ariels Beruhigung.
Ariel . Ich drehe mich zu ihr um. Ich habe große Angst, dass sie wieder verschwunden sein könnte. Doch bevor ich ihren Namen aussprechen kann, schlingt sie schon ihre Arme um mich und küsst mich. Wir halten uns aneinander fest und besiegeln mit dieser Umarmung, dass wir es nie wieder zulassen werden, auseinandergebracht zu werden.
Diese Gewissheit ruft mir einen uralten Spruch in Erinnerung. »Leg mich wie ein Siegel an dein Herz«, flüstere ich an ihren Lippen. »Denn stark wie der Tod ist die Liebe.«
Sie legt den Kopf zurück und sieht mich an, Tränen schimmern in ihren Augen. »Shakespeare?«
»Nein. Ein Psalm aus dem Hohelied Salomos.«
»Wunderschön.«
»Und so wahr. Ich weiß nicht, wie ich dir sonst erklären soll, was … « Ich berge ihr Gesicht in meinen Händen. »Ich dachte schon, ich hätte dich verloren. Du hast geglaubt, eine andere zu sein, das Mädchen, von dem ich dir erzählt habe, als ich … «
»Rosaline, ich weiß.«
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