Romeo für immer, Band 02
Absicht, zumindest glaubte er das. Aber er war ein Feigling und … « Er atmet tief ein, doch das scheint ihn nur noch mehr aufzuregen. »Er wurde dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit die Welt zu durchwandern und schreckliche Dinge zu tun. In ihm war keine Liebe mehr, und er war sicher, dass er niemals wieder Liebe empfinden würde. Julia … starb. Durch seine Schuld.«
»Das tut mir sehr leid.«
»Ich verdiene dein Mitleid nicht«, sagt er mit brüchiger Stimme.
»Das ist mir egal.« Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn auf seinen traurigen Mund.
Er schweigt. Doch dann erwidert er meinen Kuss voller Innigkeit und Verzweiflung. Er schlingt die Arme um mich und presst mich an sich, so fest, dass ich seinen Herzschlag in mir spüre. Er küsst mich, bis meine Lippen brennen und sich in meinem Kopf alles dreht. Mein Herz rast, und ich fühle mich ihm gefährlich nah. Ich könnte jetzt aus meinem Körper heraustreten und mit ihm verschmelzen. Ich könnte mich in ihm verlieren und in die Welt eintreten, zu der er mir die Tür geöffnet hat, und niemals wieder von dort zurückkehren. Ich könnte …
»Dylan? Ariel?« Mrs Lorados Stimme klingt eher verblüfft als entrüstet.
Dylan und ich fahren erschrocken auseinander, schwer atmend und zitternd. Ich drehe mich zu Mrs Lorado um, doch ihr blasses Gesicht mit den gespitzten Lippen verschwimmt vor meinen Augen. Statt ihres Kopfes nehme ich nur eine verschwommene weiße Fläche wahr. Sie trägt mit Vorliebe geschmacklose Pullis mit Motiven aus Comics oder von schielenden Tierbabys mit riesigen Augen oder dem Weihnachtsmann auf seinem Rentierschlitten, auch wenn bald schon Ostern ist.
Als ich sie das erste Mal gesehen habe, dachte ich, ihre Pullis seien Ausdruck einer liebenswerten Schrulligkeit. Wie bei meiner Lehrerin in der sechsten Klasse, die freitags immer Nichtgeburtstagskarten an ihre Schüler austeilte. Aber Mrs Lorado ist nicht liebenswert und merkt auch überhaupt nicht, wie schrullig sie ist. Mich beschleicht das Gefühl, dass sie Küsse in der Bibliothek mindestens genauso verabscheut wie Getränke und Essen in der Bibliothek oder Unterhaltungen in normaler Lautstärke.
»Euer Benehmen ist absolut inakzeptabel«, verkündet sie, als weder Dylan noch ich etwas sagen. »Was habt ihr zu eurer Verteidigung vorzubringen?«
»Entschuldigung?« Wahrscheinlich sollte ich noch etwas hinzufügen, aber ich weiß nicht was. Ich kann im Moment nur an Dylans Geschichte von Romeo und Julia denken und an Magie und unvorstellbare Möglichkeiten, die ich mir aber trotzdem sehr gut vorstellen kann.
»›Entschuldigung‹ reicht nicht, Ariel. Solch ein Verhalten führt dazu, dass die Bibliothek zukünftig bei Abwesenheit der Bibliothekarin für alle Schüler verschlossen bleibt«, erklärt sie. Dann schaltet sie einen Gang höher, in den Strafpredigtmodus. »Ihr wisst genau, dass auf dem ganzen Schulgelände öffentliche Zuneigungsbezeugungen untersagt sind. Das steht ausdrücklich in den Vorschriften, sogar mehr als einmal.«
»Liest die eigentlich jemand?«, fragt Dylan.
»Erlauben Sie sich mir gegenüber keine Frechheiten, Mr Stroud.« Mrs Lorado verschränkt die Arme vor der Brust, sodass sich die Augen der Perserkatze auf ihrem Pulli bedrohlich verengen. »Betrachtet das als Verwarnung. Wenn ich euch in der Bibliothek noch einmal bei etwas anderem als Lesen erwische, geht es sofort ab ins Büro der Schulleitung. Und jetzt seht zu, dass ihr in den Unterricht kommt.«
Dylan und ich murmeln diverse Male »Entschuldigung«, schnappen uns unsere Rucksäcke und erreichen den Ausgang der Bibliothek genau in dem Moment, als es zur ersten Stunde läutet. Wir laufen hinaus in den Sonnenschein, aber die Sonne strahlt nicht mehr so warm wie vorhin. Und auch die Wolke, auf der ich eben noch neben Dylan in die Bibliothek geschwebt bin, hat sich verflüchtigt. Eigentlich müsste ich mich auf den Weg zu meinem Schließfach machen, aber ich bringe einfach nicht die nötige Energie auf, erst zu meinem Fach zu laufen und dann auch noch pünktlich vor dem zweiten Klingeln zum Unterricht zu erscheinen. Es erscheint mir plötzlich auch nicht mehr so wichtig zu sein. Nicht, bevor Dylan mir seine Geschichte zu Ende erzählt hat.
»Die Geschichte ist wahr, oder?«, keuche ich. Obwohl ich nur sehr langsam gehe, bin ich außer Atem.
»Es ist meine Geschichte. Ich weiß, dass sie verrückt klingt, aber … «
»Hast du so von der Magie erfahren?«, frage ich. Er soll wissen,
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