Romeo für immer, Band 02
oder mir ihren ungefilterten Hass ins Gesicht schleudert.
»Das ist schon in Ordnung«, tröste ich sie. Ich ziehe sie an mich und berge ihren Kopf in meiner Halsbeuge. »Ich glaube, Rachegelüste sind ganz normal, wenn man verletzt wurde.«
»Wirklich?«
Ich seufze. »Na ja, es ist vielleicht nicht gerade normal, aber … ich kann dich gut verstehen.«
»Das weiß ich.« Sie legt ihr Gesicht an meine Brust und atmet erleichtert auf. »Danke.«
Ich drücke sie fester an mich. »Bedank dich nicht bei mir. Es … es tut mir leid.«
Sie legt ihren Kopf in den Nacken und sieht mich verwundert an. »Was denn?«
»Ich weiß nicht, wie … « Ich kann ihr nicht in die Augen sehen, deshalb schaue ich über ihren Kopf. Meine Miene verfinstert sich. Ben beobachtet uns immer noch, auch wenn er so tut, als schaue er nur auf die Straße. Ich trete einen Schritt zurück und halte Ariel die Wagentür auf. »Lass uns fahren. Wir können im Auto weiterreden. Ich bin nicht scharf auf Publikum.«
»Ich auch nicht. Der Typ ist irgendwie eigenartig«, flüstert sie mir zu, als sie sich in den Sitz gleiten lässt.
Ich lächle geschmeichelt.
Sieh gut hin, du goldener Ritter ohne Furcht und Tadel. Mein Mädchen steht auf den schwarzen Ritter. Ich grinse Benvolio hämisch an, während ich den Wagen aus der Parklücke manövriere. Ich werde jetzt mit Ariel zur Bibliothek fahren und das Buch finden, das meine Befürchtungen endgültig zerstreuen wird.
12
Ariel
I ch umklammere Dylans Hand, während wir auf den schäbigen braunen Gebäudekomplex der Highschool von Solvang zulaufen. Wie immer, wenn das Wetter schön ist, sitzen die meisten Schüler auf der Wiese und den Bänken entlang dem Weg und essen ihre Frühstücksbrote oder gönnen sich ein kleines Sonnenbad, bevor sie zum Unterricht gehen. Überall wird fröhlich geplaudert und gelacht. Doch als Dylan und ich auftauchen, verstummen Gespräche und Gelächter.
Flüsternd schauen uns die anderen hinterher. Anscheinend schockiert es sie, Dylan und mich zusammen zu sehen, den wilden Draufgänger und den schüchternen Freak. Ich spüre ihre Blicke wie spitze Finger in meinen Rücken und riskiere einen schüchternen Blick unter meinen Zöpfen zurück. Die meisten schauen uns eher neugierig oder zweifelnd nach, keineswegs belustigt oder gar höhnisch. Einige Mädchen sehen mich sogar fast ein wenig gerührt an. Sie scheinen sich für mich zu freuen.
Das ist doch verrückt. Völlig unmöglich.
Ich kann es kaum glauben. Vor zwanzig Minuten hat Dylan meinetwegen seine Freunde verprügelt. Er hat mich verteidigt und vor aller Welt gezeigt, dass ich ihm etwas bedeute. Noch immer ganz benommen und verwirrt, schwebe ich auf dem Weg zur Bibliothek wie auf Wolken neben Dylan. In meinen geheimsten und romantischsten Träumen hätte ich mir das nicht ausmalen können.
Ich senke den Kopf, um mein Lächeln zu verbergen. Es ist wie im Märchen und doch ist es mein Leben . Ich klammere mich an diesen Gedanken, er wärmt mich von innen. Ich kann mir nicht vorstellen, je wieder zu frieren, mich zu fürchten oder einsam zu sein. Nicht, solange Dylan meine Hand hält und wir zusammen sind.
Und wir sind zusammen. Nach dem, was eben passiert ist, besteht daran wohl kein Zweifel mehr. Deshalb kann ich es genauso gut auch aussprechen.
»Also«, flüstere ich, während Dylan mich in die Bibliothek drängt, dann stehen bleibt und sich suchend umschaut. »Sind wir jetzt zusammen? So richtig?«
Dylan gibt ein undefinierbares, atemloses Geräusch von sich und geht zu den Regalen mit den Tragödien. Mein Lächeln gefriert. Seit wir von der Bäckerei weggefahren sind, ist er irgendwie abwesend. Er meinte, er habe eine Hausaufgabe vergessen und müsse vor dem Unterricht unbedingt noch in die Bibliothek. Es ist mir ein Rätsel, wieso seine Hausaufgaben ihm plötzlich so wichtig sind. Eben hat er noch so getan, als würde ihn nichts weniger interessieren als das. Er war nie ein besonders fleißiger Schüler.
Als ob er meine Besorgnis spürt, zieht er mich liebevoll an den Zöpfen. »Es dauert nicht lange.« Er stellt seinen Rucksack auf dem Boden ab und fährt suchend mit den Händen über die abgegriffenen Bücherrücken. Vor einem besonders dicken Werk bleibt er stehen und zieht es ächzend aus dem Regal.
Mir bleibt gerade genug Zeit, um zu sehen, dass es sich um William Shakespeares Sämtliche Werke handelt, bevor er den Wälzer aufschlägt und das Inhaltsverzeichnis durchgeht. Sein Finger sucht erst die
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