Romy Schneider - die Biographie
phantastischen Erzählungen überein, die sie noch vor kurzer Zeit für ihre Mitschülerinnen erfand. Man fährt durch ein großes, von einem Pförtner beaufsichtigtes Tor über Straßen, die von Gebäuden, »die aussehen wie riesige Turnhallen«, gesäumt werden. Innen, so bemerkt sie, erinnern sie eher an große Scheunen, in denen nur das Stroh fehle. Stattdessen sieht sie Scheinwerfer, Kulissenaufbauten, Stahlgerüste und amüsiert sich besonders darüber, dass die Schienen für Kamerafahrten »Schlitten« genannt werden. Die vielen Menschen im Studio irritieren sie. Romy ist aufgeregt, teils wegen des Vorsprechens, aber auch, weil sie zum ersten Mal geschminkt wird. In Halle 1, in der, wie Romy beeindruckt schildert, kürzlich der Jazzmusiker Stan Kenton gastiert hatte, wartet Regisseur Deppe, weist sie immer wieder an, nicht in die Kamera zu sehen. »Es ist eine nervenaufreibende Geschichte, Filmschauspielerin zu werden«, notiert sie. 70 Zum Abschluss erscheint der Standfotograf, und Romy fragt sich, ob die Zeitungen wohl auch Bilder von ihr drucken werden. Sie übt sich in Zweckpessimismus, rechnet sich wenig Chancen aus. Nach einigen Tagen erhält sie positiven Bescheid, freut sich unbändig. Später wird sie enttäuscht erfahren, dass Magda Schneider eine Woche Probezeit erbeten hat. Falls ihr Romys erste Aufnahmen nicht gefallen, könne man sie noch aus dem Vertrag entlassen.
In Berlin wohnen Mutter und Tochter im Hotel am Steinplatz, dessen Besitzer der Ehemann der Schauspielerin Winnie Markus ist. Sie besichtigen das Messezentrum und den Funkturm. Vor dem Brandenburger Tor sieht Romydie Volkspolizisten, blickt in die Ostzone hinüber. Die Bezeichnung »Unter den Linden« kennt sie bis dato nur aus einem Schlager von Paul Lincke.
Die Königin
Seit 1953 Ist Madga Schneider mit dem Kölner Gastronom Hans Herbert Blatzheim (1905–1968) verheiratet, der sich ein Imperium aus Restaurants, Hotels und Nachtlokalenaufgebaut hat. In der Öffentlichkeit nennt Romy ihn »Daddy«, freiwillig oder auf Geheiß; ein paar Jahre später kühlt sich ihr Verhältnis ab, und sie bezeichnet ihn sehr technisch als »Herrn Blatzheim« oder den »zweiten Mann meiner Mutter«. Nach Blatzheims Tod, so Romys zweiter Ehemann Daniel Biasini, hätte sie ihn als »maquereau« bezeichnet, was sowohl »Makrele« als auch umgangssprachlich »Zuhälter« bedeutet, da er seine Umgebung ausgebeutet hätte.
Magda Schneider sieht das naturgemäß anders, einem amerikanischen Reporter erklärt sie: »Herr Albach-Retty ist nur der Erzeuger von Romy, der wirkliche Vater ist Herr Blatzheim.« 84 Als Ersatz für Wolf Albach-Retty kann ihre Tochter diesen jedoch nie sehen. Der angesprochene Abwesende kann ihr, was die Vorbehalte gegen Blatzheim angeht, nicht helfen, aber auch nicht widersprechen. »Mein wirklicher Vater war wirklich kein Vater. Leider.«, befindet Romy Schneider 1981, schwächt aber im gleichen Atemzug ab: »Heute meine ich aber, er ist zu früh gestorben. Vielleicht wäre er später mehr ein Vater für mich gewesen, als ich ihn brauchte, als immer dieser andere um mich herum war. Mein Vater sagte zu mir damals: Ist doch egal, reg di nit auf, ich finde den auch widerlich, den anderen, reg di nit auf.« 85
Im Juni 1954 ist die Familie Blatzheim/Schneider zu dritt in München und trifft in der Hotelhalle des »Vier Jahreszeiten« das Ehepaar Ernst und Lilli Marischka. Magda Schneider kennt den Regisseur von früheren Filmarbeiten und stellt ihm ihre Tochter vor. Marischka hat Romys ersten Film gesehen, äußert sich jedoch zunächst mit keinem Wort dazu. Doch er hat längst das noch unter Erz verborgene Gold in Form des Talents des jungen Mädchens erkannt. Schließlich kündigt er an, eine Neuverfilmung von
Mädchenjahre einer Königin
vorzubereiten, in dem es um die Jugend von Queen Victoria von Großbritannien gehe. Für die Hauptrolle habe er bereits eine Schauspielerin unter Vertrag (man kolportiert den Namen Sonja Ziemann),doch nun scheint sich ihm eine bessere Option anzubieten. Nach einem kurzen Telefonat besetzt er die Rolle um, bietet sie Romy Schneider an. Die Fünfzehnjährige erhält somit in ihrem dritten Film ihre erste Hauptrolle. Voller Stolz dokumentiert sie die Begebenheit und unterschreibt diese mit »Gegeben am 10. 6. 1954. Victoria (Königin von England).« 86 Beim Studium der Biographie ist sie beeindruckt von der historischen Persönlichkeit, die sie nun darstellen soll. Sogar ein Zeitalter wurde
Weitere Kostenlose Bücher