Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Räucherstäbchens, das er in der Hand hielt. Weder sah er seinen Vater, der sich zu ihm wandte und ihn stumm zu warnen versuchte, bei Hof nicht solche Verleumdungen zu äußern, noch Fürst Shinmen, der die Wahrheit hinter dem Gerede kannte und die Schwerter an Munisais Seite nicht aus den Augen ließ.
«Und dann kommt er hier herein und bittet um Verzeihung, wobei er noch von oben bis unten besudelt ist mit dem Schmutz des Schlachtfelds», fuhr Hayato fort, die plötzliche Spannung im Raum entweder nicht bemerkend oder nicht beachtend. Rauch kringelte sich um sein Gesicht. «Weiß der ehrenwerte Munisai denn wirklich nicht, wie man bei Hof zu erscheinen hat, oder findet er etwa Gefallen daran, nach Scheiße zu stinken?»
Munisais Zorn verrauchte sofort; ihm wurde klar, dass Hayato nichts weiter als ein Flegel war, der ihn auf unbeholfene Weise zu beleidigen versuchte. Stattdessen fühlte er sich plötzlich erschöpft und verzweifelt, so tief, dass er den schwerwiegenden Fehler beging, etwas von seinem wahren Wesen durchblicken zu lassen. Wider besseres Wissen starrte er den jungen Fürsten so lange an, bis dem nichts anderes mehr übrig blieb, als den Blick zögernd zu erwidern.
«Wenn der bloße Gedanke an Krieg Euch solches Unbehagen bereitet, Fürst Nakata, bitte ich Euch vielmals um Verzeihung. Ich vergesse manchmal, dass sich der feine Geist des Großstädters vom Geist des Kriegers unterscheidet.»
Damit hätte es sein Bewenden haben können, hätte die Koto-Spielerin nicht gekichert. Der Rhythmus der Musik stockte für einen Moment, die Frau hielt sich die zierliche Hand vors Gesicht, dann fasste sie sich wieder und setzte ihr Spiel fort. Hayato errötete und sah zu Boden. Mit strenger Miene richtete sein Vater die zusammengekniffenen Schweinsäuglein auf Munisai. Shinmen blickte kühl und reglos. Munisai schaute ihn an.
«Wenn Ihr nun gestattet, Hoheit?», sagte er.
«Ihr dürft Euch entfernen, Munisai», antwortete Shinmen in nüchternem Ton.
Munisai verneigte sich ein letztes Mal, erhob sich und ging hinaus. Im Raum herrschte Schweigen, aber in einigen der zu Boden gewandten Gesichter meinte er, Belustigung zu bemerken. Diese Geschichte würde im Feldlager zweifellos schnell die Runde machen. Die Folgen konnte er nicht absehen, aber es war ihm in diesem Moment egal.
Draußen war die Nacht nun vollends herabgesunken, doch die kühlere Luft erfrischte ihn nicht. Er war erschöpft und wütend und konnte nicht leugnen, dass er sich verraten fühlte – nicht nur durch das, was gerade vorgefallen war, sondern durch alles. Dass er so egoistisch empfand, beschämte ihn zusätzlich, und zornig schritt er hinüber zu dem, was von Hayatos Burg noch übrig war.
* * *
Sie hatten gesiegt, und nun begann das wüste Gelage.
Rings um die glühenden Trümmer der Burg hatten sich Männer zu Gruppen versammelt, die, als es später wurde und die letzten Pflichten erledigt waren, immer mehr Zulauf bekamen. Man sprach und lachte mit alten und neuen Freunden. Die Vorräte der Festung waren geplündert worden, ehe sie von den Flammen geraubt werden konnten, und nun bereitete man in großen Kesseln Reis, Suppe und Gemüse zu und schlug mit mächtigen Holzhämmern etliche Fässer auf.
Kazuteru schmetterte mit ausgebreiteten Armen eine derbe alte Siegeshymne, die ihm sein Vater beigebracht hatte, als er noch ein kleiner Junge war. Er bahnte sich einen Weg zwischen den Männern hindurch und hielt dabei Ausschau nach irgendjemandem, den er kannte. Zwar schwenkte er eine Flasche Sake in der Hand, aber betrunken war er nicht. Das Getränk war ihm ehrlich gesagt zu bitter, mehr als ein paar Schlucke davon bekam er gar nicht herunter. Er trug die Flasche nur mit sich herum, um inmitten der anderen nicht fehl am Platz zu erscheinen. In seinem Körper tobte allein der Rausch, noch am Leben zu sein, es tatsächlich überstanden zu haben.
Während er sang, dachte er an seinen Vater, der gut zehn Jahre zuvor in einem anderen Krieg ums Leben gekommen war. Dieses Lied zählte zu den wenigen Dingen, die er seinem Sohn hinterlassen hatte. Das bisschen Geld, das er Kazuteru und seiner Mutter vermacht hatte, war schnell aufgebraucht gewesen. Seine Mutter war zu stolz, um jemanden um Hilfe zu bitten, und so hatten die beiden mit schrumpfenden Mägen in einem Haus ausgeharrt, das sie Stück für Stück verpfändeten.
Jetzt aber war Kazuteru ein Mann, und mehr als das: ein Krieger, der seine erste Schlacht geschlagen hatte. Bald würde
Weitere Kostenlose Bücher