Ronja Räubertochter
bisweilen
»Schiefschädel« nannten, war das nur scherzhaft gemeint und betrübte Sturkas nicht weiter. Betrübt war nur Ronja. Der Unfrieden zwischen Mattis und Borka machte ihr das Leben schwer. Sie hatte geglaubt, diese Feindschaft werde mit der Zeit von allein verschwinden, statt dessen aber war sie neu aufgeflammt und gefährlich geworden. Jeden Morgen, wenn Mattis mit seinen Räubern durch die Wolfsklamm ritt, mußte sie sich fragen, wie viele von ihnen wohlbehalten wieder heimkommen würden. Ruhig war sie erst wieder, wenn abends alle um die lange Tafel versammelt waren.
Doch am nächsten Morgen war die Unruhe wieder da.
Ronja fragte ihren Vater:
"Warum wollt ihr euch eigentlich ans Leben, Borka und du?«,»Frag doch Borka
« antwortete Mattis. »Er hat den ersten Pfeil abgeschossen. Sturkas kann es dir bestätigen.« Aber schließlich sagte auch Lovis ihre Meinung. »Das Kind ist klüger als du, Mattis. All dies kann nur in einem Blutbad und Elend enden, und wofür soll das gut sein ? «
Mattis ergrimmte, als er merkte, daß er Ronja und auch Lovis gegen sich hatte.
»Wofür das gut sein soll?« schrie er. »Wofür das gut sein soll?
Dafür, daß Borka jetzt endlich aus der Mattisburg verschwindet, begreift ihr das denn nicht, ihr Gänse?«
»Muß es denn unbedingt Blutvergießen geben, müssen denn alle draufgehen, ehe ihr zufrieden seid?« fragte Ronja. »Gibt es denn keinen anderen Weg?«
Mattis starrte sie finster an. Es mochte noch hingehen, mit Lovis darüber zu streiten, aber daß auch Ronja gegen ihn war,das war zuviel.
»Finde du doch einen ändern Weg, wenn du so gescheit bist. Schaff du mir diesen Borka aus der Mattisburg! Von mir aus kann er dann so ruhig wie ein Fuchsschiß im Walde liegen und sein ganzes verfluchtes Gesindel dazu. Ich werde ihm nichts tun.«
Mattis verstummte, grübelte eine Weile und murmelte dann:
»Aber wenn ich nicht wenigstens Borka erschlage, dann kann mich ja jeder einen Jammerlappen von Räuber schimpfen.«
Ronja traf Birk täglich im Wald, und das war ihr Trost, jetzt konnte sie sich nicht mehr sorglos über den Frühling freuen, und auch Birk konnte es nicht. »Selbst der Frühling ist uns verdorben«, sagte Birk. »Durch ein paar alte, dickschädlige Räuberhäuptlinge, die kein Fünkchen Verstand haben.«
Ronja fand es traurig, daß Mattis ein alter, dickschädliger Räuberhauptmann ohne Verstand geworden war. Ihr Mattis, ihre Föhre im Wald, ihre Stärke -
warum war es dahin gekommen, daß sie mit ihren Sorgen jetzt nur zu Birk gehen konnte? »Hätte ich dich nicht zum Bruder«, sagte sie, »dann wüßte ich wirklich nicht...«
Sie saßen am Weiher, und ringsum war die Herrlichkeit des Frühlings, aber sie nahmen sie kaum wahr. Ronja grübelte.
»Wenn ich dich nicht zum Bruder hätte, dann würde es mir vielleicht nichts ausmachen, daß Mattis Borka ans Leben will.«
Sie sah Birk an und lachte auf.
»Also ist es deine Schuld, daß ich jetzt so viele Sorgen habe!« »Ich will nicht, daß du Sorgen hast«, sagte Birk. »Aber auch für mich ist es schwer.«
Lange saßen sie dort und hatten es schwer. Aber sie hatten es gemeinsam schwer, und das war ein Trost. Leicht war es trotzdem nicht.
»Es ist ein so banges Gefühl, nicht zu wissen, wer abends noch am Leben ist und wer tot«, klagte Ronja. »Noch ist ja niemand ums Leben gekommen«, sagte Birk.
»Das liegt nur daran, weil es hier in den Wäldern wieder von Landsknechten wimmelt. Mattis und Borka kommen einfach nicht dazu, einander totzuschlagen.
Sie haben nämlich alle Hände voll zu tun, den Knechten zu entkommen.«
»So ist es, und das ist ein Glück«, sagte Ronja.
Birk lachte.
»Ja, wer hätte gedacht, daß die Landsknechte auch zu was gut sind?«
»Ein banges Gefühl ist es trotzdem«, sagte Ronja. »Und das wird es für dich und mich wohl unser Leben lang bleiben.«
Dann gingen sie zum Weideplatz der Wildpferde. Racker undWildfang waren bei der Herde.
Als Birk pfiff, hoben sie die Köpfe und sahen irgendwie nachdenklich aus.
Danach aber grasten sie ruhig weiter. Um dieses Pfeifen wollten sie sich nicht kümmern, das merkte man.
»Biester seid ihr«, sagte Birk. »Auch wenn ihr noch so harmlos ausseht.«
Ronja wollte nach Hause. Wegen zwei alter, dickschädliger Räuberhäuptlinge hatte sie keine Ruhe mehr im Wald.
Genau wie an allen ändern Tagen trennten sich die beiden weit vor der Wolfsklamm und fern von allen Räuberpfaden.
Sie wußten, wo Mattis immer geritten kam, und
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