Ronja Räubertochter
Glupafall hatte folgen wollen. Jetzt ließ er sie im Stich, war ein Fremder geworden, oh, wie sie ihn verabscheute, nie zuvor war- sie so erbittert über ihn gewesen. Aber eigentlich war es nicht nur Birk, den sie verabscheute. Alles verabscheute sie, alles und jedes, alles und alle, die an ihr zerrten und rissen, so daß sie fast in Stücke ging: Birk und Lovis und Mattis und die Druden und die Bärenhöhle und den Wald und den Sommer und den Winter und diese Undis, die Birk schon als Säugling nur Unsinn beigebracht hatte, und diese verflixten Druden .. . Nein, die hatte sie ja schon aufgezählt! Aber da war noch mehr, das sie verabscheute, auch wenn es ihr gerade jetzt nicht einfiel. Sie verabscheute es so, daß sie hätte schreien mögen. Und schreien wollte sie, und schreien würde sie, daß die Berge barsten! Nein, sie schrie nicht Sie zischte Birk nur zu, ehe er in der Grotte verschwand:
»Nur schade, daß deine Mutter dir nicht auch ein bißchen Anstand beigebracht hat, wenn sie schon mal dabei war.«
Sie ging zu Lovis zurück und versuchte es ihr zu erklären. Birk sei müde, sagte sie, dann schwieg sie. Sie sank neben ihrer Mutter nieder, und das Gesicht in Lovis' Schoß verborgen, weinte sie. Nicht so, daß die Berge barsten, nein, es war nur ein stilles Weinen, das nicht zu hören war.
»Du weißt weshalb ich gekommen bin«, sagte Lovis, und Ronja murmelte unter Tränen:
»Wohl nicht, um mir Brot zu bringen?«
»Nein«, sagte Lovis und strich ihr übers Haar.
»Brot kriegst du, wenn du heimkommst.«
Ronja schluchzte auf.
»Ich komme nie mehr heim.«
»Ja, dann endet es damit, daß Mattis in den Fluß springt«, sagte Lovis ruhig. Ronja hob den Kopf.
»Würde er meinetwegen in den Fluß springen? Er nennt ja nicht mal meinen Namen!«
»Nicht, wenn er wach ist«, sagte Lovis.
»Aber Nacht für Nacht weint er im Schlaf und ruft nach dir.«
»Woher weißt du das?« fragte Ronja.
»Liegt er denn jetzt wieder bei dir in deinem Bett? Schläft er nicht mehr in der Kammer bei Glatzen-Per?«
»Nein«, antwortete Lovis.
»Glatzen-Per hielt es nicht länger aus mit ihm. Auch ich halte es kaum aus. Aber jemand muß ja bei ihm sein, wenn es allzu schlimm ist.«
Sie schwieg lange, dann sagte sie:
»Weißt du, Ronja, es ist schwer mit anzusehen, wie jemand so unmenschlich leidet.«
Ronja spürte, daß es jetzt hervorbrechen wollte, dieses Weinen das die Berge zum Bersten bringen würde. Doch sie biß die Zähne zusammen und fragte leise:
»Du, Lovis, wenn du ein Kind wärst und einen Vater hättest, der dich so erbarmungslos verleugnet, daß er nicht einmal deinen Namen nennt, würdest du dann zu ihm zurückkehren? Wenn er nicht selber käme und darum bäte?«
Lovis dachte eine Weile nach.
»Nein, das würde ich nicht. Er müßte mich darum bitten, das müßte er!«
»Und das tut Mattis nie«, sagte Ronja. Wieder verbarg sie ihr Gesicht in Lovis' Schoß, und Lovis' rauher Wollrock wurde naß von Ronjas stillen Tränen. Es war Abend und dunkel geworden, auch die schwersten Tage nehmen ein Ende.
»Geh schlafen, Ronja«, sagte Lovis.
»Ich bleibe hier sitzen und schlafe auch ein bißchen. Sobald es hell wird, gehe ich.«
»Ich möchte in deinem Schoß einschlafen«, sagte Ronja.
»Und du sollst das Wolfslied singen.«
Sie mußte daran denken, wie sie selber versucht hatte, Birk das Wolfslied vorzusingen. Aber sie war es bald leid geworden, und nie wieder in diesem Leben würde sie ihm etwas vorsingen, das stand fest. Aber Lovis sang, und da wurde die Welt wieder so, wie sie sein sollte. Ronja sank in den tiefen Kindheitsfrieden, und den Kopf in Lovis' Schoß, schlief sie unter den Sternen ein und erwachte erst am hellen Morgen. Da war Lovis verschwunden. Ihr graues Tuch aber hatte sie nicht mitgenommen. Damit hatte sie Ronja zugedeckt. Ronja spürte die Wärme gleich beim Erwachen, und sie sog den Duft ein. Ja, das ist Lovis, dachte sie, ihr Tuch riecht wie dieses Häschen, das ich einmal hatte. Drüben zusammengekauert am Feuer saß Birk, den Kopf auf die Arme gelegt, sein rotes Kupferhaar war nach vorn gefallen und verbarg sein Gesicht. Er sah so trostlos verlassen aus, daß es Ronja weh tat. Jetzt vergaß sie alles andere, und das Tuch hinter sich herschleppend, ging sie zu ihm. Aber sie zögerte ihn anzusprechen, vielleicht wollte er in Frieden gelassen werden. Schließlich mußte sie ihn doch fragen:
»Was ist mit dir, Birk?«
Er sah zu ihr auf und lächelte.
»Ich sitze hier und bin
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