Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
Alphabet durchgescrollt, bis er Vals Nummer sah.
Sogar ich begreife, dass so viel Zufall nicht sehr wahrscheinlich ist. Und dann noch etwas. Ich habe Vals Nummer unter ihrem vollständigen Namen gespeichert: Valerie Reina. Aber in der SMS stand Val. Das kann zweierlei bedeuten. Entweder ist der Täter besser im Raten als ich. Oder er weiß, dass ich Valerie mit Val anrede und dass ich im Notfall gerade sie um Hilfe bitten würde. Dann kennt er sie also. Und mich.
In meinem Gehirn findet eine Art Kernreaktion statt.
Natürlich: Stefano!
Er weiß, dass ich mein Handy immer im Zimmer lasse, wenn ich schwimmen gehe. Außerdem ist es nicht das erste Mal, dass er etwas ausheckt und einen anderen dafür büßen lässt. Zuckerwürfel für viel Geld als iPods verkaufen – seine Idee. Dieser Anzug, den wir zurückbrachten, obwohl er getragen war – sein Plan. Wahrscheinlich ist das Stück Glas auch nicht zufällig in Vals Püree gelandet.
Wenn ich mich nur daran erinnern könnte, wie dieses Restaurant noch hieß.
18
Zeit: drei Wochen vorher
Ort: La Lina – Spanien
Nachdem wir meinen Anzug zurückgegeben hatten, nahmen wir den Bus nach La Lina. Am Straßenrand wuchsen nicht nur Palmen, sondern auch riesige Kakteen. Das fand ich noch spannender als Palmen und ich nahm meine Kamera zur Hand. Danach machte ich gleich noch ein paar Hundert Fotos von Val und ein paar von mir und Val und dann noch eins von Stefano, der seinen Rucksack als Fußablage benutzte. Er trug die knallrote Baseballkappe, die Val ihm gekauft hatte.
»Warum hast du deine eigentlich nicht auf?«, fragte sie mich gespielt empört. Sie suchte so lange im Seitenfach meines Rucksacks, bis sie fündig geworden war, und stülpte sie mir über.
Ich kam mir total lächerlich vor. Stefanos eineiiger Zwillingsbruder. Gleich sollten wir wahrscheinlich noch dieselben Hosen und T-Shirts anziehen.
»Du solltest sie immer tragen«, sagte Val. »Sieht cool aus. Männlich.«
Mein Gefühl änderte sich sofort. Ich wurde zu einer Art Tiger Woods mit seinen dreizehn Geliebten. Na ja, sozusagen. Ehrlich gesagt schien es mir viel zu anstrengend, dreizehn Frauen anzumachen und auch noch dafür zu sorgen, dass sie zufrieden waren. Ich wusste kaum, wie ich bei Val vorgehen sollte – aber diese viel zu auffällige knallrote Kappe aufzusetzen, war zumindest ein Anfang.
Wir stiegen an der Haltestelle an einem Platz aus. Im Wartehäuschen hing ein Plakat, das ein Konzert von Alicia Keyes in Barcelona ankündigte. Sie trug ein Kleid, das mindestens drei Nummern zu klein war.
»Perfekt«, sagte Stefano.
Photoshop, würde meine Mutter sagen.
Val fischte einen Kaugummi aus den Tiefen ihrer Shorts und steckte ihn in den Mund.
Stefano öffnete seinen Rucksack und fuhr mit der Hand an der Innenseite entlang. Danach folgte auch sein Arm. Erst bis zum Ellbogen, danach ganz bis zur Schulter, sodass der Rucksack wie ein hungriges Monster wirkte, das versuchte, ihn zu verschlingen.
Val zog ihren Kaugummi zu einem Faden und zwickte ein Stückchen davon ab, das sie auf das Plakat klebte. Danach noch ein Stückchen und noch eins, bis vier weiße Punkte neben dem viel zu kleinen Kleid von Alicia Keyes klebten.
»Was macht ihr denn da?«, fragte ich.
»Vorbereitungen treffen«, sagte Stefano geheimnisvoll, als ginge es um einen Banküberfall.
Aus dem Rucksack kamen nacheinander ein Skizzenblock, ein Stift und ein Mobiltelefon aus der Steinzeit – so ein Ding, so groß wie ein kleiner Kühlschrank, und trotzdem konnte man damit nicht einmal fotografieren oder filmen, sondern nur telefonieren.
Val sah mein erstauntes Gesicht.
»Wir wollen Konzertkarten verkaufen«, sagte sie.
»Habt ihr welche für Alicia Keyes?«, fragte ich noch erstaunter.
»Hmmm.« Sie zog Stefano den Skizzenblock und den Stift aus der Hand und begann zu schreiben. »Wir kennen jemanden bei Palau Sant Jordi, wo Alicia auftritt. Von ihr konnten wir die Eintrittskarten mit zehn Prozent Rabatt bekommen. Jetzt verkaufen wir sie zum Normalpreis weiter.« Val hörte kurz auf zu schreiben und lächelte Alicias Foto auf dem Plakat an. »Die preiswerteste Karte kostet hundertfünfzig Euro. Das rentiert sich!«
»Und wenn ihr sie nicht loswerdet?«, fragte ich.
»Klar kriegen wir die los«, sagte Stefano. »Die Leute kaufen lieber von uns als über den offiziellen Weg. Sie sparen fünfzehn Euro Versandkosten, wir haben also alle was davon.«
Außer Alicia Keyes und den Organisatoren, dachte ich. Aber die waren
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