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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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leben, und er sitze in der Fülle des Lebens draußen und nähre sich »wie der heilige
     Antonius in der Wüste von wildem Honig und Heuschrecken!« 184
    Trotz ihrer Inhaftierung nahm Rosa Luxemburg am politischen Leben weiterhin Anteil. Sie wünschte sich Post von Parvus, Warski
     und Zetkin und war ungehalten, daß Karl Kautsky nicht genug tat, um ihren Artikel gegen Terrorismus unterzubringen, den die
     »Vorwärts«-Redaktion abgelehnt hatte, weil |212| er gegen eine Falschmeldung im eigenen Blatt gerichtet war. Kautsky sei offenbar nahe daran, seine »Strumpfbänder« zu verlieren
     vor lauter Attacken, die gegen ihn, vor allem »Die Neue Zeit«, nach dem Dresdner Parteitag und dem Amsterdamer Kongreß geritten
     wurden. Deshalb hatte sie den – hier bereits zitierten – Brief vom 9. September an Karl Kautsky geschrieben. Sie wolle ihn
     nicht »peitschen«, sondern ihm wieder Freude an der Polemik geben, die er für den bevorstehenden Parteitag in Bremen, an dem
     sie leider nicht teilnehmen konnte, dringend brauche. 185 Befriedigt registrierte sie, daß der Verlauf der Bremer Debatten selbst in dem »verstümmelten Mosseabklatsch« des »Berliner
     Tageblatts« einen prächtigen Eindruck auf sie machte. 186
    Einen Monat früher als vorgesehen wurde Rosa Luxemburg am 25. Oktober aus der Haft entlassen. Sie war in den Genuß einer Amnestie
     gekommen, die anläßlich der Thronbesteigung des Königs Friedrich August von Sachsen am 15. Oktober 1904 erlassen wurde. Es
     widerstrebte ihr, diese »Gnade« anzunehmen, doch es half nichts, sie wurde regelrecht »hinausgeschmissen«. Nachdem sie über
     ihre Erlebnisse und ihr Befinden mit der Familie Kautsky geplaudert hatte und richtig bei ihrem Leo angekommen war, schrieb
     sie ihrer holländischen Freundin Henriette Roland Holst am 27. Oktober 1904 einen ausführlichen Brief. Sie wünschte ihr gute
     Besserung nach einem Sturz vom Rad, konnte sich aber die Bemerkung nicht verkneifen, wie abscheulich sie Radfahren fände.
     Sie mochte nicht leiden, »wenn Frauen auf dem Rad fahren, weil das selten ästhetisch aussieht. Sie sehen, ich bin furchtbar
     altmodisch und sogar ›philiströs‹. Hoffentlich dauert Ihr guter Humor weiter an und die Heilung schreitet gut voran.
    Ich meinerseits fühle mich ausgezeichnet, böse Zungen behaupten sogar, daß ich dicker geworden bin (trotzdem ich fast hungerte
     zwei Monate, da das Essen so abscheulich war!). Ich segnete aus vollem Herzen die Ruhe und Einsamkeit, in der ich mich einmal
     wieder innerlich zusammenflicken konnte. Ich habe nämlich stets bei der Berührung mit Menschen das Gefühl innerer Zerrissenheit,
     jeder neue Eindruck zerrt mich nach einer andern Seite, und ich bin ganz Sklavin des Augenblicks. In der Einsamkeit finde
     ich mich selbst wieder und |213| bringe die ›polnische Wirtschaft‹ meines Seelenlebens in etwas geeordnete Zustände. Gelesen und gearbeitet habe ich vorzüglich
     die ganzen zwei Monate. Außer meinem Fach – Ökonomie – habe ich auch etwas Literatur und Philosophie genascht. Die Ankündigung
     der Amnestie hat mich gerade aus dem schönsten Ausflug in die Leibnizische Gebirgsgegend herausgerissen.« 187
    Resümee der Herausforderungen, denen sich Rosa Luxemburg vom Pariser bis zum Amsterdamer Kongreß der II. Internationale angesichts
     weltpolitischer Ereignisse und hinsichlich der Vorgänge in den sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien in Deutschland,
     Frankreich, Belgien, Polen und Rußland gestellt hatte, war, daß sie für ein lebendigeres internationales Zusammenwirken und
     gründlicheres Nachdenken über neue Möglichkeiten erfolgversprechender Politik plädierte. Persönlich wollte sie sich künftig
     mehr für Holland, Italien, Dänemark, Schweden und Norwegen interessieren.
    Über die Rolle des sogenannten orthodoxen »Radikalismus« sei sie keineswegs entzückt. »Das Nachlaufen der einzelnen opportunistischen
     Dummheiten und kritische Nachschwätzen ist mir keine befriedigende Arbeit, vielmehr habe ich dieses Amt so herzlich satt,
     daß ich am liebsten in solchen Fällen schweige. Ich bewundere auch die Sicherheit, mit der manche unserer radikalen Freunde
     stets nur für nötig halten, das verirrte Schaf – die Partei wieder in den sicheren heimatlichen Stall der ›Prinzipienfestigkeit‹
     zurückzuführen und dabei nicht empfinden, daß wir auf diese rein negative Weise keinen Schritt vorwärtskommen. Und für eine
     revolutionäre Bewegung nicht

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