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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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mit der Internationale immer unsere
     (im engeren Sinne) Position innerhalb der deutschen Bewegung stärken.« 178
    |210| Wie es ihre Art war, nutzte sie den Gefängnisaufenthalt in erster Linie als Rückzug aus dem aufreibenden politischen Alltag.
     Luise Kautsky versicherte sie, daß es ihr gut gehe. »Luft, Sonne, Bücher und menschliche Liebenswürdigkeit umgeben mich«,
     schrieb sie. 179 Nur dürfe sie eigentlich nur einmal im Monat einen Brief schreiben. Doch offensichtlich gelang es ihr, diese Bestimmung zu
     umgehen, denn bald sandte sie an Luise Kautsky erneut einen Brief, in dem sie ein Stimmungsbild notierte: Ihre Zelle hätte
     die »Größe« von sieben mal vier Schritt und eine kleine Fensterluke, durch die »ein weiches Lüftchen« wehte, ihren Lampenschirm
     bewegte und im aufgeschlagenen Schiller blätterte. »Jetzt ist Abend […]. Draußen am Gefängnis vorbei wird ein Pferd langsam
     nach Hause geführt, und seine Hufe schlagen ruhig und rhythmisch in der nächtlichen Stille auf das Pflaster. Aus der Ferne
     kommen kaum vernehmbar die launischen Töne einer Mundharmonika, auf der irgendein Schusterjunge vorbeischlendernd einen Walzer
     ›pustet‹. Mir summt im Kopf eine Strophe, die ich irgendwo neulich gelesen habe: ›Eingebettet zwischen Wipfeln – liegt dein
     kleiner stiller Garten, – wo die Rosen und die Nelken lang schon auf dein Liebchen warten, – eingebettet zwischen Wipfeln
     – liegt dein kleiner Garten …‹ Ich verstehe gar nicht den Sinn dieser Worte, weiß auch nicht, ob sie überhaupt einen Sinn
     haben, aber sie wiegen mich, zusammen mit dem Lufthauch, der mir wie liebkosend über das Haar streicht, in eine seltsame Stimmung.
     Dieses Lüftchen, das verräterische, es lockt mich schon wieder in die Ferne – ich weiß selbst nicht, wohin. Das Leben spielt
     mit mir ewiges Haschen. Mir scheint es immer, daß es nicht in mir, nicht dort ist, wo ich bin, sondern irgendwo weit.« 180 Ihr Herz sei bei ihnen allen draußen und in Holland, woher sie von Henriette Roland Holst, Herman Gorter, Pieter Jelles Troelstra
     und Henri van Kol, die sie alle während des Amsterdamer Kongresses näher kennengelernt hatte, Post erhielt. »Du wunderst Dich
     vielleicht«, bemerkte sie zu Luise Kautsky, »daß ich in meiner Klausur an Musik denke? Ich denke überhaupt an alles, vor allem
     an alles Freudige. Weißt Du, bei welchem ›Zukunftsbild‹ ich mich am meisten erhole? Wenn ich mir ausmale, wie wir in Amsterdam
     bummeln werden! Das wird ja eine herrliche ›Eskapade‹ sein. Und in die Oper muß die Bande uns dort einladen …« 181
    |211| Sie versuchte Holländisch zu lesen und zu lernen. »Wie gut, daß Ihr beide existiert!« schrieb sie später an Henriette Roland
     Holst und ihren Mann. »Wenn mir manchmal vor allerlei Zeug, aus dem das Leben, namentlich das Parteileben, besteht, in der
     Seele dunkel und dumpf wird, da erinnere ich mich an Amsterdam, und es wird mir wieder hell. Sie sagen, daß ich Holland zu
     ›rosafarben‹ betrachte. Ach, lassen Sie mir diese Illusion – wenigstens in bezug auf die paar guten Menschen. Es ist so wohl,
     eine reine und duftige Erinnerung im Vorrat zu haben.« 182
    Von ihrem Bruder Józef bekam sie sogar Besuch. Die Kosten für die wegen ihres Magenleidens notwendige Selbstverpflegung trug
     Heinrich Dietz, der Stuttgarter Verlagsleiter und Freund August Bebels, der auch die »Neue Zeit« und Clara Zetkins »Gleichheit«
     herausgab. Leo Jogiches, der sich beständig nach ihr erkundigte und alles wissen wollte, berichtete sie: »Also: Ich stehe
     auf um 6, bekomme um 7 Kaffee, um 8–9 Spaziergang, um 12 Mittagessen, 1–2 Spaziergang, 3 Kaffee, um 6 Abendbrot, 7–9 Lampe,
     9 schlafen. Ich bekomme das ›Berliner Tageblatt‹. Lese viel, denke auch ziemlich viel.« 183 Sie wies ihn ihrerseits an, sein Versprechen, jeden Tag ein Buch zu lesen, einzuhalten. Tägliche ernste Lektüre sei eine
     Rettung für Geist und Nerven. Banalitäten wollte sie in seinen Briefen nicht lesen. Entsprechend zornig reagierte sie, als
     er ihr lang und breit »wie eine pedantische alte Jungfer« einen Blusenkauf für sie beschrieb, und grantig, weil er wiederholt
     nach ihren verschiedenen Leiden, besonders nach den Magenbeschwerden, fragte. Sie antwortete mit bissigen Bemerkungen. Daß
     er einsam lebe, sei Wahnsinn und abnorm, solche »Askese« sei ihr verhaßt. Sie sehne sich in ihrer Zelle nach jedem Schein
     des Lebens, giere danach, in vollen Zügen zu

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