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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Bürger von Wilna, besuchte das I. |38| Wilnaer Gymnasium, das er ohne Abschluß aus der 6. Klasse verließ; danach befaßte er sich mit der Verwaltung des Hauses und
     einer Mühle in der Stadt Wilna, die unteilbar ihm und seiner Mutter sowie zwei Brüdern gehören; er ist unverheiratet, seine
     Mutter ist Witwe und heißt Sofia Pawlowa, seine Brüder sind: Pawel, der wegen Krankheit ohne Beschäftigung ist, und Ossip,
     der Apothekergehilfe ist, sowie die Schwester Emilia; sie leben alle zusammen in der Stadt Wilna auf der Poplawskaja-Straße
     im Hause von Gordon.« 10
    Daß sich an seiner Seite ständig eine junge, attraktive Frau befand, beunruhigte Rosa Luxemburg. Es war Anna Gordon, die als
     Mitglied der sozialistischen Bewegung ebenfalls aus Wilna nach Zürich geflüchtet war und zu studieren begann. Überhaupt umgab
     Leo etwas Geheimnisvolles, das Rosa zunächst rätseln ließ. In ihrem Wesen, ihren Veranlagungen und speziellen Neigungen unterschieden
     sich beide; im leidenschaftlichen Engagement für die Befreiung von sozialer und nationaler Unterdrückung, von rassischer,
     religiöser und geistiger Intoleranz wiederum ähnelten sie sich. Gegensätze wie Gemeinsamkeiten sorgten dafür, sich gegenseitig
     im Auge zu behalten. Es dauerte nicht lange, und Rosa Luxemburg war in den stattlichen, selbstbewußten und klugen Mann verliebt.
     Auch Leo Jogiches fing bald Feuer für sie. Durch seine weit günstigere finanzielle Situation erleichterte er ihr das studentische
     Leben, da sie von zu Hause kaum unterstützt werden konnte.
    Er war der erste, der Rosa Luxemburg auf ganz natürliche Weise politische Erfahrungen vermittelte, ohne wie die älteren Emigranten
     Erlebtes legendär zu überhöhen oder belehrend zu verklären. Leo Jogiches gab ihr auch früh einen Begriff von der Kunst und
     den Gefahren der Konspiration, die er dank seines Organisationstalents schon in jungen Jahren meisterte. Es faszinierte sie,
     wenn er berichtete, wie man mit Geheimschrift und unsichtbarer Tinte umgeht, Pässe fälscht, Streiks organisiert, den Druck
     und Vertrieb von Agitationsmaterialien bewerkstelligt, Literatur und Leute über die Grenze schmuggelt, Menschen im Untergrund
     aufmuntert, wie es gelingen kann, aus der Armee oder aus Gefängnissen zu fliehen, und was es im Ernstfall heißt, schweigen
     zu können bzw. zu müssen. Von vornherein bestand er darauf, auch ihre Liebesbeziehungen geheimzuhalten. |39| Rosa Luxemburg ging darauf ein und spielte mit; bis Ende der 90er Jahre betonte sie gegenüber ihren Angehörigen und Freunden
     stets, völlig allein und selbständig zu leben. Vielleicht war sie zunächst froh, Vater und Mutter nicht begreiflich machen
     zu müssen, wider alle Konventionen eine Lebensgemeinschaft ohne Trauschein zu führen. Aber die Verschwiegenheit beschwor mit
     den Jahren auch manche Unannehmlichkeit und manchen Konflikt herauf.
    Das erste Mal verliebt zu sein und innig geliebt zu werden machte Rosa so glücklich, daß sie Nadina und Boris Kritschewski
     aus Genf übermütig mit »kleine Freunde« anschrieb. Sie konnte sich sofort deren boshaftes Lachen vorstellen, denn die beiden
     älteren Freunde waren größer als sie, und beteuerte, sie sei »wirklich schon ganz erwachsen« und »stolz darauf«. 11 Dieser Jubel entsprang dem Lebensrausch der Liebe, der sie im Sommer 1891 beglückte, als sie sich mit Leo – fernab von allen
     Bekannten – in Genf aufhielt. Die Erinnerung an jene herrliche Zeit ließ sie auch später immer wieder besonders für den Genfer
     See und seine Gestade schwärmen. Wie Balsam gösse sich hier jedesmal die Luft und Ruhe und Heiterkeit in ihre Seele. 12
    »Über Genf im allgemeinen werde ich Ihnen nicht schreiben«, bemerkte Rosa Luxemburg in ihrem Brief an die Kritschewskis. »Sie
     kennen es selbst. Mir gefällt es 1. als eine schöne Stadt von europäischem Aussehen, 2. durch das Fehlen von etwas in der
     Art der
Oberstrass
. Es geht mir hier im großen und ganzen sehr gut – ich arbeite fleißig und pflege die Bekanntschaft mit interessanten Leuten.
     Nur an den Sonntagen wandern meine ›sehnsuchtsvollen Gedanken‹ zur
Ober
strass
und ich ›begleite‹ Euch alle, meine Lieben, gegen Abend zu Axelrods – zu Kefir und Hering. […] Ich war in Mornex, aber ich
     gehe nicht wieder hin, weil Plechanow mir zu entwickelt, d. h. besser gesagt zu gebildet ist. Was kann ihm ein Gespräch mit
     mir geben? Er weiß alles besser als ich, und solche originellen,

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