Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
völlig konform gehen werden,
und das macht mich glücklich.« 27 Auch von Franz Mehring, dem sie ins Sanatorium schrieb, erbat sie seine Meinung zur »Roten Fahne«. 28
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zeichneten gemeinsam für die neue Zeitung verantwortlich. Alfred Merges hatte mit anderen
Spartakusmitgliedern den Schutz der beiden übernommen. »Schier übermenschlich schien mir die Kraft der körperlich schwachen
und kleinen Rosa«, schrieb er. »So zerbrechlich sie aussah, meisterte sie doch pünktlich mit der Härte ihres Willens das tägliche
Arbeitspensum. War Karl von einer Kundgebung gekommen, berieten sie sofort die Lage und setzten die Besprechung mit Genossen
der Zentrale fort. So legten sie gemeinsam die Linie des nächsten Leitartikels fest.« 29
Rosa Luxemburg ging in den Novembertagen 1918 ganz und gar in der Arbeit für die »Rote Fahne« auf. »Wenn Du wüßtest, wieviel
ich Dir zu sagen hätte und wie ich hier lebe – wie im Hexenkessel!« schrieb sie am 29. November an Clara Zetkin. »Gestern
nacht um 12 Uhr bin ich zum ersten Mal in meine Wohnung gekommen, und zwar nur deshalb, weil wir beide – Karl [Liebknecht]
und ich – aus sämtlichen Hotels dieser Gegend (um den Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof) ausgewiesen worden sind!« 30 Die Arbeit aber entwickle sich famos.
Rosa Luxemburg mußte das Letzte geben. Jeden Tag war sie bis Mitternacht in der Druckerei der »Roten Fahne«, denn sie |592| hatte den Umbruch zu beaufsichtigen. Behilflich waren ihr dabei Paul Levi, August Thalheimer und Fritz Rück. Immer wieder
gab es Probleme mit dem Papier. Gern hätte sie die Zeitung auf sechs Seiten erweitert oder zweimal täglich erscheinen lassen,
um aktueller berichten zu können. Die neuesten Nachrichten trafen meist erst um 22 oder 23 Uhr ein. Frieda Alice, eine junge
Genossin, die Rosa Luxemburgs in klarer Handschrift verfaßte Artikel abschrieb, erschrak, als sie die ergraute und abgespannte
Frau sah: »Wat, in so einer kleinen Kruke stecken solche großen Gedanken?«
Der Erfolg der Mühen um die »Rote Fahne« blieb nicht aus. Über das Echo bei den Unabhängigen Sozialdemokraten schrieb sie
an Clara Zetkin: »Die ›Rote Fahne‹ sei das einzige sozialistische Blatt in Berlin. Über die ›Freiheit‹ [Organ der USPD] sind
alle ihre Leute enttäuscht bis zum äußersten. Neulich war sowohl in der Sitzung des Zentralvorstandes Großberlins wie in der
Preßkommission der ›Freiheit‹ eine allgemeine scharfe Kritik über die ›Freiheit‹, der man die ›Rote Fahne‹ als Muster entgegenstellte,
zum Ausdruck gekommen. Nur Haase und Hilferding (der Chef) verteidigten sie schwach. Däumig, Eichhorn usw. behaupten, ganz
auf unserem Boden zu stehen, ebenso Ledebour, Zietz, Kurt Rosenfeld und – die Massen!« 31
Mit den Zähnen möchte man knirschen
Seit dem 18. November hatte die »Rote Fahne« zu Großkundgebungen aufgerufen. Die ersten vom Spartakusbund organisierten Versammlungen
fanden am 21. November statt. Neben Karl Liebknecht, Paul Levi und Wilhelm Pieck zählte auch Rosa Luxemburg zu den Rednern.
Als sie in den Neuköllner Passage-Festsälen sprach, herrschte so großer Andrang, daß eine zweite Versammlung stattfinden mußte.
Rosa Luxemburg wurde mit stürmischem Beifall empfangen. Sie schätzte den Wert der bisherigen Errungenschaften, das Verhalten
der anderen Parteien, die Gefahren der Gegenrevolution und die nächsten Aufgaben ein. Volle Zustimmung fand ihre Auseinandersetzung
mit den Scheidemännern. In der Diskussion wurde die Hetze gegen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg verurteilt und der Standpunkt |593| des Spartakusbundes bekräftigt. Rosa Luxemburg erklärte in ihrem Schlußwort, daß der Sozialismus nur mit der großen Mehrheit
des Proletariats errichtet werden könne. Mit einem Hoch auf die soziale Revolution endete die Versammlung in zuversichtlicher
Stimmung. 32
Die Haltung zur Nationalversammlung wurde zu einem Kernpunkt der Debatten innerhalb der gespaltenen Arbeiterbewegung während
der Novemberrevolution. In Deutschland hatte die Konstituante auf Grund der jahrzehntelangen Parlamentstraditionen einen anderen
Stellenwert als im bisher despotisch regierten Rußland. Rosa Luxemburg erläuterte am 20. November im Leitartikel für die »Rote
Fahne«, die Nationalversammlung sei keine Opportunitäts-, sondern eine Prinzipienfrage, eine Frage der sozialistischen Selbsterkenntnis
der Revolution. Der
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