Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Jacob Walcher angehörten, zunächst die Mehrheit. Solche Nachrichten steigerten
Rosa Luxemburgs Ungeduld; sie wollte endlich auch wirksam ins Revolutionsgeschehen eingreifen können. Deshalb mußte sie nach
Berlin.
Dort riefen Spartakusgruppe und Vollzugsausschuß der revolutionären Obleute für den 9. November ebenfalls zum Kampf. In Flugblättern
forderten sie den Sturz der Monarchie, die Errichtung einer sozialistischen Republik, die Übernahme der Regierung durch Vertreter
der Arbeiter- und Soldatenräte und sofortige Kontakte zur russischen Sowjetrepublik. 13 Hunderttausende folgten dem Streikaufruf. Sie demonstrierten, entwaffneten Polizisten und Offiziere, besetzten Polizeiwachen,
stürmten Kasernen und befreiten die politischen Gefangenen. Auch Leo Jogiches war nicht unter die Amnestie vom Oktober gefallen
und wurde nun von Paul Levi aus dem Gefängnis Moabit herausgeholt.
Gegen Mittag des 9. November war Berlin in den Händen revolutionärer Arbeiter. Kaiser Wilhelm II. dankte ab. Reichskanzler
Prinz Max von Baden kündigte Wahlen für eine verfassungsgebende Nationalversammlung an. Friedrich Ebert, einer |586| der zwei Vorsitzenden der SPD, ließ sich von ihm zum neuen Reichskanzler ernennen und rief zu »Ruhe und Ordnung« auf. Doch
alle Versuche, in letzter Minute vom alten Regime zu retten, was noch zu retten war, schlugen fehl. Die herrschenden Kreise
Deutschlands konnten der Revolution nicht mehr Einhalt gebieten.
Karl Liebknecht war an der Spitze eines Demonstrationszuges zum Schloß marschiert und hatte erklärt, es stehe unter dem Schutz
des Arbeiter- und Soldatenrates von Berlin. »Wir haben den Frieden erzwungen. Der Friede ist in diesem Augenblick geschlossen.
Das Alte ist nicht mehr. Die Herrschaft der Hohenzollern, die in diesem Schloß jahrhundertelang gewohnt haben, ist vorüber.
In dieser Stunde proklamieren wir die freie sozialistische Republik Deutschland. Wir grüßen unsere russischen Brüder, die
vor vier Tagen schmählich davongejagt worden sind.« 14 Am 5. November waren von der deutschen Regierung die diplomatischen Beziehungen zu Sowjetrußland abgebrochen worden.
Am gleichen Tag rief Philipp Scheidemann vor dem Reichstagsgebäude die freie deutsche Republik aus, da er sich von der dort
versammelten Menschenmenge zu dieser Entscheidung gedrängt sah und den Einfluß der SPD auf den weiteren Revolutionsverlauf
sichern wollte. Die Mehrheit der Arbeiter und Soldaten glaubte, mit dem Sturz der Monarchie und der Bildung des Rates der
Volksbeauftragten, dem Emil Barth, Wilhelm Dittmann und Hugo Haase von der USPD und Friedrich Ebert, Otto Landsberg und Philipp
Scheidemann von der SPD angehörten, sei die politische Macht bereits errungen und der Weg zum Sozialismus wäre nunmehr frei.
Im Regierungsprogramm des Rates der Volksbeauftragten vom 12. November wurden jedoch die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung
nicht angetastet.
Rosa Luxemburg saß noch immer in Breslau fest. Sie erkundigte sich telefonisch bei Mathilde Jacob ständig nach dem Fortgang
der Ereignisse und drängte auf endliche »Erlösung«. Leo Jogiches entschied, daß sie am 10. November in Frankfurt (Oder) mit
dem Auto abgeholt werden sollte, wo wieder Züge aus Breslau eintrafen. Doch zwei Versuche, mit requirierten Militärautos und
dazugehörigen Begleitmannschaften nach |587| Frankfurt (Oder) zu fahren, scheiterten. Weiter als bis in die Vororte Berlins kamen sie nicht.
Rosa Luxemburg hatte inzwischen die Reise in einem überfüllten Zug auf gut Glück allein angetreten. Wie sich Mathilde Jacob
erinnerte, traf sie am 10. November gegen 22 Uhr auf dem Schlesischen Bahnhof ein. Rosa Luxemburg fuhr zunächst zu Mathildes
Mutter. 15 Ihr erstes Quartier nahm Rosa Luxemburg wie Karl Liebknecht im Hotel »Exzelsior«, gegenüber dem Anhalter Bahnhof. Mathilde
Jacob begleitete sie noch am späten Abend in die Redaktionsräume des »Berliner Lokal-Anzeigers«, wo sich bereits Karl Liebknecht,
Leo Jogiches, Wilhelm Pieck und andere Funktionäre der Spartakusgruppe versammelt hatten.
Redaktion und Druckerei der Zeitung waren am 9. November von Spartakusanhängern und bewaffneten Matrosen und Soldaten besetzt
worden. Unter Leitung von Hermann Duncker und Ernst Meyer konnte noch am Abend der Übernahme die erste Nummer der »Roten Fahne«
herausgegeben werden. Am 10. November rief das Organ der Spartakusgruppe in einem Appell an die Arbeiter und
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