Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
nationale Unterdrückung Polens und die Forderung nach Autonomie Polens seien unerläßlich, und betonte zugleich,
»daß der Kampf um die Wiederherstellung eines polnischen Klassenstaates den Verzicht auf jeglichen erfolgreichen Kampf gegen
die Selbstherrschaft darstellt und daß die Aufnahme dieser Forderung ins Programm und in die Agitation die polnische Arbeiterklasse
von der Verwirklichung ihrer Aufgaben – sowohl der nächstliegenden als auch der letztendlichen – nur weiter fernhalten kann« 136 .
Nachdem dieser Standpunkt auf dem Parteitag nicht durchzusetzen war, verließen Warski und Hanecki die Beratungen. Folge war,
daß sich die SDKPiL 1903 der SDAPR nicht anschloß und Lenin und Luxemburg weiterhin heftig gegeneinander polemisierten. Die
Leninsche Position und damit auch die Forderung nach Recht auf Selbstbestimmung der Nationen wurde mehrheitlich angenommen.
Lenins Anhänger wurden seither Bolschewiki (Mehrheit) genannt, die in der Minderheit stehende Gruppe Menschewiki.
Ein zweiter, nicht minder wichtiger Streitpunkt waren die Parteistruktur, die innerparteilichen Normen und die Beziehung zwischen
Partei und proletarischen Massen. Schon im Zusammenhang mit der nationalen Frage hatte Rosa Luxemburg Warski erklärt, worauf
es ihr in organisationspolitischer Hinsicht bei einer aus mehreren Parteien und Gruppierungen |195| bestehenden Parteieinheit ankam: auf vollständige Selbständigkeit der einzelnen Parteien innerhalb der SDAPR, hauptsächlich
auf die Vereinheitlichung der politischen Aktion, auf ein vernünftiges Zusammenspiel von Basis und Zentralkomitee bei der
Wahl von Mandatsträgern. Übereilte Vereinigungen und vor allem ein Kontrollrecht der Russen über andere angeschlossene Parteien
müßten unbedingt vermieden werden.
Während Lenin sich in der Programmfrage behaupten konnte, gelang es ihm auf dem Parteitag nicht, das Statutenproblem in seinem
Sinne zu lösen.
Offiziell erfuhren die deutschen Sozialdemokraten erst durch die »Leipziger Volkszeitung« vom 9. Dezember und den »Vorwärts«
vom 20. Dezember 1903, daß ein Parteitag der russischen Sozialdemokraten stattgefunden hatte; Vom »Zauber des Geheimnisses
umwoben«, »denn Väterchens Bluthunde schnüffeln überall herum und heulen vor Freude, wenn sie einen Sozialisten der sibirischen
Ferienkolonie zusenden können«, habe der Parteitag irgendwo im weiten russischen Reich stattgefunden, mit Delegierten aus
allen Gegenden, von Archangelsk bis Odessa, von Petersburg bis Orenburg. »Die Hauptaufgabe des Parteitages gipfelte in der
Schaffung eines Parteiprogramms und eines Organisationsstatuts«, schrieb die »Leipziger Volkszeitung«, »um die weit zerstreuten
Gruppen und Verbände zu einer geschlossenen, festgefügten Gesamtorganisation zu vereinigen. Das Parteiprogramm ist ganz von
dem Geiste des Marxismus durchweht und ähnelt in seinen Grundzügen unserm Erfurter Programm. Die Organisation der Partei ist
zentralistisch. An der Spitze steht die Redaktion des Zentralorgans der in Genf erscheinenden Iskra als einheitliche, theoretische
Leitung, und das Zentralkomitee als einheitliche, praktische Leitung. Um die stete Übereinstimmung der Tätigkeit beider Zentralleitungen
sicher zu stellen, ist als höchste Instanz der Parteirat geschaffen worden. […] Durchaus folgerichtig wird die allernächste
politische Aufgabe der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands im Sturz der zaristischen Alleinherrschaft und deren Ersatz
durch die demokratische Republik erblickt. Nieder mit dem Zaren und seinem ganzen absolutistischen Anhang!« Von dem erstmals
ausdrücklich |196| in ein sozialdemokratisches Programm aufgenommenen Begriff »Diktatur des Proletariats« erfuhren die Leser ebensowenig wie
von den Meinungsverschiedenheiten über das nationale Selbstbestimmungsrecht, dem Streit um § 1 des Organisationsstatuts oder
den Abstimmungsgegensätzen zwischen Bolschewiki und Menschewiki.
Lenins Schrift »Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück«, mit der er zur Krise in seiner Partei nach dem II. Parteitag
ausführlich Stellung nahm, erschien im Mai 1904 in Genf. 137 Viele Menschewiki reagierten zornig auf die Publikation. Plechanow forderte das Zentralkomitee auf, sich davon abzugrenzen.
In deutscher Sprache war das Werk erst 1907 durch die Aufnahme in den Sammelband »12 Jahre« zu lesen.
Die Formulierung des § 1 zur Mitgliedschaft in der SDAPR, bei der es Lenin um die
Weitere Kostenlose Bücher