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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Sie ahnte noch nicht, daß dieser Artikel heftige und lang anhaltende Diskussionen über die parteikonzeptionellen Kontroversen
     zwischen Lenin und ihr auslösen und in der Luxemburg-Rezeption einen bedeutsamen Platz einnehmen würde.
    Der Artikel mit der schlichten Überschrift »Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie« war eine direkte Antwort
     auf Lenins Schrift »Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück« vom Mai 1904. Rosa Luxemburgs Ausgangspunkt war, »daß die
     sozialdemokratische Bewegung der zurückgebliebenen Länder von der älteren Bewegung der vorgeschritteneren Länder lernen müsse«.
     Und sie setzte fort: »Die älteren und voranschreitenden sozialdemokratischen Parteien können und sollen ebensogut aus der
     näheren Bekanntschaft mit ihren jüngeren Bruderparteien lernen. […] Und je mehr wir dieselben Grundzüge der Sozialdemokratie
     in der ganzen Mannigfaltigkeit ihres verschiedenen sozialen Milieus kennenlernen, um so mehr kommt uns das Wesentliche, das
     Grundlegende, das
Prinzipielle
der sozialdemokratischen Bewegung zum Bewußtsein, um so mehr tritt die durch jeden Lokalismus bedingte Borniertheit des Gesichtskreises
     zurück.« 145
    Russischen Parteiangelegenheiten hatte Rosa Luxemburg seit Beginn ihrer Tätigkeit in der Arbeiterbewegung große Beachtung
     geschenkt. »Sowenig es uns möglich ist«, betonte sie, »von Deutschland aus über die
Einzelheiten
der Parteitaktik unserer russischen Genossen mit voller Sicherheit ein Urteil zu fällen, sosehr liegt es andererseits in unserem
     Interesse, die Bahnen, welche die nun erwachte revolutionäre Bewegung im Zarenreiche wandelt, aufmerksam zu beobachten und
     uns über ihre jeweiligen Ansichten klare Rechenschaft abzulegen.« 146 |199| Anlässe dafür waren immer wieder gegeben. So hatte 1902 das Attentat einer Terroristengruppe auf den Gouverneur von Charkow
     und die Veröffentlichung von Dokumenten terroristischer Kreise in der »Leipziger Volkszeitung« für Aufsehen gesorgt.
    Rosa Luxemburg räumte ein, bei terroristischen Anschlägen könne es sich um Akte der Verzweiflung und des Opfermutes einzelner
     Freiheitskämpfer bzw. um elementare Ausbrüche des Volkszorns handeln. Doch prinzipiell lehnte sie Terrorismus als eine dem
     Blanquismus stark verwandte Taktik ab, denn der unbegrenzte Glaube an die Macht der politischen Gewalt stoße stets an Grenzen
     der gesellschaftlichen Realität. 147 Ungeachtet des Reifegrades der gesellschaftlichen Entwicklung für eine Umwälzung durch terroristische Gewaltakte zu plädieren
     rechtfertige im Endeffekt den Handstreich einer Minderheit. Das wiederum führe im Kampf gegen Despoten wie den Zaren nur zur
     Diktatur einer Person. Die Gründe dafür, daß die marxistische Auffassung von Revolution, Sozialismus und Demokratie mit Terrorismus
     oder Verschwörungen nicht zu vereinbaren sei und man sich vom willkürlichen Umgang mit Gewalt lösen müsse, lagen für Rosa
     Luxemburg in den gesellschaftlichen Umständen.
    Wie für alle Sozialisten, die den Ideen von Marx und Engels folgen wollten, werde es für die Revolutionäre in Rußland immer
     mehr zu einer Lebensfrage, Volksmassen durch alltäglichen politischen Kampf in ihrer Entwicklung zu zielbewußten politischen
     Feinden des Zarismus zu unterstützen. Im Ringen um demokratische Freiheiten käme es auch in Rußland auf Massenagitation und
     Massenorganisation an. 148 Eine Begrenzung auf Minderheiten, ob um der Verschwörung, des Terrors oder einer disziplinierten Organisation willen, sei
     schädlich und deshalb zu vermeiden.
    Vehement argumentierte Rosa Luxemburg gegen Lenins Vorstellungen zur Parteistruktur und zum Parteistatut. 149 Sie respektierte seine Absicht, durch »bewußtes Eingreifen« eine proletarische Organisation mit zentralen Leitungsgremien
     schaffen und das zusammenhangslose Zirkelwesen lokaler Organisationen überwinden zu wollen. Sie erkannte auch die ungeheuren
     Schwierigkeiten, in Rußland Organisationsfragen ohne die formellen |200| Handhaben einer bürgerlichen Demokratie zu lösen. Doch rechtfertige dies keineswegs eine streng zentralisierte und rücksichtslos
     disziplinierte, in sich abgeschlossene Partei, die lediglich aus einer kleinen Elite von Berufsrevolutionären besteht. Sie
     warnte vor der Gefahr statutenmäßig organisierter Isolierung und forderte, sich auch in Rußland auf die Entwicklung einer
     Massenpartei zu konzentrieren. Alles müsse auf die Organisation und die

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