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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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Pflicht jedes Mitglieds zur aktiven Mitarbeit
     bei der Verwirklichung des Programms und der Parteibeschlüsse ging, er sich aber nicht gegen Martow und die Menschewiki durchsetzen
     konnte, löste heftige ideologische Kämpfe aus. Wie sind Zentralismus und Demokratie in der Organisationsstruktur und Arbeitsweise
     einer Arbeiterpartei so in Einklang zu bringen, daß sie zur Entfaltung sozialdemokratischer Massenbewegungen gegen soziale
     Ausbeutung, nationale Unterdrückung und politische Knechtung wirksam beizutragen vermögen? – Diese Frage bildete den Kernpunkt
     des Disputs und seiner Rezeption, wurde jedoch von Polemiken, Vorwürfen und Unterstellungen, die sich auf Detailfragen beschränkten,
     überlagert und verdeckt. Für Außenstehende war es schwer, sich eine Meinung zu bilden. Maßgebliche Presseorgane der deutschen
     Sozialdemokratie reagierten zunächst verhalten. Als Ljadow dem Chefredakteur des »Vorwärts« Berichte über die Arbeiterbewegung
     in Rußland anbot, lehnte Kurt Eisner eine Veröffentlichung ab, weil die Zeitung »einer ausländischen Bewegung, besonders der
     russischen, die noch so jung ist und der reifen deutschen Bewegung so wenig geben kann, nicht viel Platz einräumen« könne. 138 Auch Karl Kautsky wollte sich in der »Neuen Zeit« mit Artikeln zurückhalten, solange die Hoffnung bestand, daß die russischen
     Sozialdemokraten ihre Differenzen selbst beilegen könnten. In der »Iskra« vom 15. Mai 1904 äußerte er sich allerdings ausführlich.
     Er |197| beurteilte die Vorgänge in der russischen Bewegung aus der Sicht der Erfahrungen, die die deutsche Sozialdemokratie unter
     Bismarcks Sozialistengesetzen 1878 bis 1890 gemacht hatte, und bekannte: »Hätte ich auf Ihrem Parteitag zwischen Martow und
     Lenin zu wählen gehabt, so hätte ich mich auf Grund der gesamten Erfahrungen unserer Tätigkeit in Deutschland entschieden
     für Martow ausgesprochen.« 139
    Die erste Bombe sei also gegossen, mit Gottes Hilfe werde sie Lenin in die Luft sprengen, schrieb der Menschewik Potressow
     an seinen Freund Axelrod am 14. Mai 1904 nach Erhalt eines Briefes von Kautsky. »Meiner Ansicht nach ist es sehr wichtig,
     einen Generalplan für die Kampagne gegen Lenin auszuarbeiten – soll er schon in die Luft gesprengt werden, dann auch bis aufs
     letzte, methodisch und planmäßig […]. Wie Lenin schlagen? Das ist die Frage. Vor allem, glaube ich, sollte man Autoritäten
     gegen ihn loslassen – Kautsky (liegt schon vor), Rosa Luxemburg und Parvus.« 140
    Knapp vier Wochen später, am 9. Juni 1904, hieß es in einem vom selben Verfasser an Rosa Luxemburg gerichteten Schreiben:
     »Liebe Genossin! […] Es ist uns überaus wichtig, gerade von Ihnen ein Urteil über diese Broschüre zu haben, die Sie einerseits
     bis jetzt außerhalb unserer innerparteilichen Streitigkeiten gestanden haben [und, andererseits] – die Sie von den westeuropäischen
     Revisionisten als Blanquistin hingestellt werden. Es könnte sein, daß Sie gerade in Verbindung mit Lenins Broschüre die Frage
     der Verschwörer- und der soz[ial]dem[okratischen] Organisation behandeln. In jedem Fall, was Sie auch schreiben, es wird für
     uns außerordentlich wertvoll sein. Bitte, schlagen Sie uns unsere Bitte nicht ab.« 141
    Rosa Luxemburg versicherte Mitte Juni 1904, sie sei froh, wenn ihr »Geschreibsel« in irgendeiner Weise nützlich sein könnte.
     »Über den Sie interessierenden Gegenstand«, schrieb sie, »habe ich gerade neulich nachgedacht, da ich durch die Besuche eines
     ›Agenten des ZK‹ und die Gespräche mit ihm darauf aufmerksam gemacht worden war.« 142 Bereits am 3. Juli 1904 lag ihre Abhandlung vor, in deutscher Sprache geschrieben, weil sie im Russischen »nicht so firm«
     sei. Der Artikel sollte sowohl in der »Neuen Zeit« als auch in der »Iskra« erscheinen. Die »Iskra« solle vermerken, daß der
     Artikel in |198| deutscher Sprache verfaßt worden sei, »denn ich möchte nicht, daß man mir unverdienterweise eine solche Kenntnis der russischen
     Sprache zuschreibt, wie sie die Übersetzung der ›Iskra‹ aufweisen wird« 143 . Sie habe sich bemüht, ihre
» unmaßgebli
che
Meinung«
möglichst gründlich darzulegen, daher sei der Artikel ziemlich lang geworden.
    Sie sei froh, schrieb sie am 7. Juli, noch kurz vor Ferienbeginn zu einer Streitfrage in der russischen Sozialdemokratie einen
     Artikel »hingekritzelt« zu haben, und fügte hinzu: »freilich wird er wohl auch danach sein« 144 .

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