Rosa Rosen
Haus gesessen, dem ihr liebsten Ort auf der Welt – sie hatte sich von klein auf um diese wunderschönen Blumen gekümmert – und hatten sich eine Ewigkeit lang umarmt.
Rachels Vater hatte sie am Abend, als er sie abgeholt hatte, regelrecht von Abigail wegzerren müssen.
„Ich wünsche Ihnen viel Glück“, sagte er zu Ruben.
„Das können wir gut gebrauchen. Aber wissen Sie, Herr Heller, schlimmer, als es hier ist, kann es ja gar nicht werden.“
„Da haben Sie wohl Recht. Lassen Sie von sich hören. Vielleicht kommen wir eines Tages nach.“
Nun waren sie auf dem Schiff, der „Europa“, einem großen Passagierschiff, auf dem sie, wie sonst auch, von den anderen „Deutschen“ getrennt wurden. Es sollte sie in nur 5 Tagen in das Land der großen Hoffnung bringen, Abigail, Dan, Ruben und Esther Goldmann. Abigails ältester Bruder Levi war in Deutschland geblieben. Sie hatten ihn nicht überreden können mitzukommen. Er sagte, er würde gegen diese große Ungerechtigkeit kämpfen, bis zum bitteren Ende.
Als sie in den Hafen von New York einliefen, betrachtete Abigail voller Demut die Freiheitsstatue. Vielleicht hatte ihr Vater ja Recht damit, dass sie es hier besser haben würden.
Briefe
12. Juli 1935
Meine liebe Rachel,
New York ist so groß! Noch viel größer, als ich es mir vorgestellt hatte. Es gibt überall Hochhäuser, die reichen bis in die Wolken.
Gleich nach der Ankunft mussten wir uns registrieren. Sie haben uns als flüchtige Juden eine Aufenthaltserlaubnis gegeben und unseren Namen in „Goldman“ geändert.
Wir wurden herzlich aufgenommen. Die erste Woche haben wir bei einer netten Familie namens Pollock verbracht. Dann konnten wir unser eigenes Heim beziehen. Doch stell Dir vor, es ist kein Haus mit Garten wie in Hamburg. Es ist eine kleine 3-Zimmer-Wohnung in Brooklyn und hier leben eine Menge ausgewanderter Juden. Ich muss mir mit Dan ein Zimmer teilen und wir streiten sehr häufig.
Wir haben uns bereits auf einer Schule angemeldet, wo wir nach den Sommerferien hingehen werden. Ich bin hier in der 8. Klasse. Und Dan in der zwölften. Er wird also in nur einem Jahr die High School beenden und kann dann anfangen zu studieren.
Und New York hat noch mehr Vorteile: Ich darf wieder ins Kino gehen! Hier wird uns nichts verboten, man behandelt uns wie alle anderen.
Vater hat sogar schon Arbeit gefunden, in einem Notariat in Manhattan. Er hatte seinen ersten Arbeitstag und es gefällt ihm gut.
Ich vermisse Dich sehr, Rachel. Und ich vermisse meine Rosen. Bitte kümmere dich gut um sie, damit sie nicht eingehen. Hat bereits eine neue Familie unser Haus bezogen?
Schreibe mir bald und lasse mich wissen, was es alles Neues gibt.
Herzlichste Grüße
Deine Freundin Abigail
*
28. August 1935
Liebste Abigail,
ich freue mich zu hören, dass Ihr gut angekommen und wohlauf seid. Amerika muss riesig groß sein, ich stelle es mir gewaltig und ein wenig angsteinflößend vor. Ich werde Dich ganz bestimmt bald mal besuchen kommen und mir ein eigenes Bild machen können.
Die Pollocks müssen wirklich sehr nett sein, Euch bei sich aufzunehmen und Euch bei Eurem Neustart in New York zu helfen.
Wie schön, dass Ihr dort ins Kino gehen dürft.
Hier ist alles wie immer. Ich bedaure es zutiefst, in diesen heißen Tagen nicht ins Schwimmbad zu dürfen.
Euer Haus steht noch immer leer. Ich habe die Rosen in Eurem Garten gegossen, doch sie vermissen Deine Pflege. Habt Ihr in New York denn überhaupt keinen Garten? Oder wenigstens ein kleines Blumenbeet vor dem Haus, wo Du ein paar Rosen pflanzen könntest?
Sie verbieten uns mehr und mehr, am Kulturleben teilzunehmen. Ich wurde aus meiner Ballettklasse herausgeworfen. Die Tage werden immer länger, ohne irgendetwas zu tun. Ich zähle die Stunden, bis die Schule wieder anfängt.
Ich habe letzte Woche Deinen Bruder Levi gesehen. Ich habe mich vor seinem Gesichtsausdruck gefürchtet, er sah sehr wütend aus.
Meine Mutter ruft mich, wir wollen an der Elbe spazieren gehen. Auf dem Weg werde ich meinen Brief abschicken.
Ich hoffe, Du schreibst bald wieder. Erzähl mir alles, schmeckt dort das Essen? Und gibt es nette Jungs?
Ich freue mich auf ein Lebenszeichen von Dir!
In ewiger Freundschaft
Deine Rachel
*
22. September 1935
Meine liebe Rachel,
Du tust mir so leid. Ich bete für Dich, dass Du bald wieder all die Dinge tun darfst, die Du so gerne tust. Ich schäme mich direkt dafür, dass ich hier so ein tolles neues Leben habe,
Weitere Kostenlose Bücher