Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
Pfeifen, halb Keuchen war, und Janie summte ebenfalls.
Klar, Momma war Tänzerin gewesen. Sozusagen.
»Also war sie einverstanden?«
»Ja. Auf jeden Fall. Sie hat Charakter. Einen freien Geist. Sie ist eine Kämpfernatur.« Der Arzt ballte die Faust und reckte sie. »Beeindruckend!«
»So kann man es auch sehen«, bemerkte Cecilia.
»Besteht die Möglichkeit, Dr. Janns, dass Sie ihr den Mund zugenäht haben?« Fragend hob ich die Augenbrauen.
Momma war immer noch bewusstlos, als wir ihr Zimmer betraten. Zum ersten Mal in ihrem Leben wirkte sie klein, kaum eine Erhebung unter der weißen Decke. Die Apparate surrten, die Schwestern und Ärzte huschten rein und raus, der Tropf über ihr glich einer durchsichtigen Schlange.
Wir starrten auf unsere schweigende, zierliche Momma, versunken in unseren Gedanken.
»Sie flippt aus, wenn sie merkt, dass sie nicht ihren rosa Morgenmantel anhat«, sagte ich.
»Sie bekommt einen Anfall, weil ihr Make-up verschmiert ist«, ergänzte Janie besorgt.
»Das Essen hier wird ihr nicht schmecken«, bemerkte Cecilia müde.
Ich verlor keine Zeit. »Ich denke, wir können jetzt nach Trillium River zurückfahren.«
»Scheiße, ja«, sagte Cecilia. »Ich bin dabei.«
»Ja. Los, lasst uns fahren«, stieß Janie aus. »Die Krankenschwestern kümmern sich um sie. Ich weiß, dass sie mein spirituelles Gleichgewicht durcheinanderbringt, wenn sie aufwacht und ich hier bin.«
»Raus mit uns«, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
Janie war als Erstes draußen im Flur, noch bevor ich sagen konnte: »Fliehen Sie, meine Damen, bevor der Vulkan ausbricht!«
Sie vergaß sogar zu lächeln.
Kurz darauf segelten wir an der Schlucht entlang, unser Haar flog im Wind, und wir versuchten zur Abwechslung, einmal nicht zu reden. Unsere Gedanken gehörten uns, sie hüpften und drehten sich, bis sie auf dem Rückweg nach Trillium River schließlich zur Ruhe kamen. Janie holte eine CD von Yo-Yo Ma aus der Tasche, und wir schwebten mit den Melodien, schwangen uns auf, stießen hinab und stiegen wieder hoch in die Lüfte.
Drei Schwestern.
Und Yo-Yo Ma.
6. Kapitel
»Ich bin jetzt praktizierende Mormonin.«
Am Tisch hätte vollkommene Stille geherrscht, wenn Cecilia bei dieser Verkündung ihrer Tochter Kayla ihre Gabel nicht mit unnötiger Wucht in die Spinatravioli gestochen hätte.
Es war eines der üblichen Abendessen in Grandmas Haus mit Cecilia und ihren Töchtern Kayla und Riley, Henry, Janie und mir. Henry trug ein Shirt mit Bibo drauf, Grandma ihre schwarze Fliegermontur, die Fliegerbrille ins Haar geschoben, und die Pflegerin Velvet hatte ein blaues Samtkleid an.
Kayla ist vierzehn, Riley dreizehn. Die beiden haben das blonde Haar ihrer Mutter und die braunen Augen ihres Vaters. Sie sind blitzgescheit. Kayla befasst sich mit Religion und hat ihr Zimmer mit Bildern aus National Geographic beklebt. Riley ist besessen von Physik und liest zum Spaß naturwissenschaftliche Bücher.
»Du bist eine praktizierende Mormonin?«, hakte Janie nach, trank einen Schluck Zitronentee und stellte ihre Teetasse auf ein Spitzendeckchen.
Cecilia funkelte ihre Tochter böse an.
»Ja, bin ich.«
»Ich dachte, du wärst katholisch«, sagte ich freundlich. Kayla ist zum Piepen. Sie provoziert ihre Mutter, bis die platzt.
»Ich gehe in eine katholische Kirche, weil ich gegen meinen Willen dazu gezwungen werde, aber ich bin eine praktizierende Mormonin.«
»Aha. Und wie praktiziert man als Mormonin?«, fragte ich.
Grandma machte das Geräusch eines Flugzeugmotors. Dann ließ sie die Gabel fallen und faltete die Hände. »Lieber Gott, hier spricht Amelia. Ich bete für mein Flugzeug. Bitte pass auf, dass es sich nicht wie eine Brezel verbiegt. Ich bete für meinen Treibstoff. Hoffentlich ist noch genug da. Ich bete für die Eingeborenen hier. Sie machen einen freundlichen Eindruck. Ich bete für meine unteren Schussverletzungen. Amen.«
Henry blies sich auf. »Ich hab heute mein Bibo-Shirt an!«
»Nun ja«, erwiderte Kayla auf meine Frage. »Ich lese das Buch Mormon. Ich befasse mich mit Joseph Smith und Brigham Young. Wusstest du, dass eines Tages ein Prophet namens Moroni zu Joseph Smith kam und ihm verriet, wo er ein auf Goldplatten geschriebenes Buch finden konnte? Ich wünsche mir, dass Moroni kommt und zu mir spricht. Ich erwarte ihn und lausche inbrünstig.«
Cecilia stach in die nächste Ravioli. Der Spinat spritzte heraus.
»Also, im letzten Monat hast du dich mit dem Buddhismus beschäftigt
Weitere Kostenlose Bücher