Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
vernichten«, war das Motto ihres Vaters gewesen, wie sie mir erzählt hatte.
»Sie hat sich auch der Mittwochnachmittagsgruppe und der Sonntagabend-Ausgehgruppe angeschlossen. Wir bringen sie ins Theater, zu Konzerten, solche Sachen.«
»Aha.« Ich hatte begriffen.
»Ich glaube, sie fügt sich bestens ein, auch wenn sie die Jüngste hier ist.«
»Das müsste ihr gefallen. Die Jüngste zu sein.« Ich dachte kurz nach. »Aber wenn wir zu Besuch kommen, liegt sie im Bett, nörgelt, hat furchtbare Schmerzen und behauptet, sie sei so krank, dass wir sie von ihrem Elend erlösen sollten.«
Sinda hüstelte. »Ich glaube, dass sich Ihre Mutter manchmal ganz plötzlich, ähm …« Erneut hüstelte sie. »Ähm, sich plötzlich krank fühlt , wenn sie weiß, dass ihre Töchter zu Besuch kommen. Ihr Kranksein veranlasst sie dann, in ihren Morgenmantel zu schlüpfen, sich ins Bett zu legen und, na ja, krank zu sein. Ziemlich krank.«
Ich hatte geblinzelt.
»Ruhe ist allerdings nicht schlecht«, hatte Sinda gesagt und sehr streng getan. »Vor allem bei ihrem Terminplan. Gestern hat sie am Mount-Hood-Timberline-Lunch teilgenommen. Danach sind alle Damen ins Kino gegangen, um sich den neuesten Film mit Keanu Reeves anzuschauen. Sie finden ihn sexy.«
»Aha.« Okay, ich hatte kapiert. »Keanu Reeves ist unglaublich sexy. Ich bin auch in ihn verknallt. Ich glaube, ich habe die Situation begriffen.«
»Gut.« Sinda hatte mich angelächelt. »Sie ist eine ganz Schlaue, Ihre Mutter.«
Das war sie in der Tat.
»Vergessen Sie nicht, mir die Rechnungen zu schicken.«
»Ihre Schwester Janie hat mich angewiesen, ihr die Rechnungen zu schicken.«
Ich hatte gelacht. »Wir einigen uns schon.«
Manche Mütter treiben ihre Töchter durch ihr Verhalten in den Alkohol. Meine Mutter trieb mich, oft genug, in mein bevorzugtes Wellnesszentrum. Dort riecht es nach Vanille, alles ist stilvoll und elegant, und ich fühle mich da sehr wohl.
Die junge Frau, die mich massierte, sah mich erschrocken an. »Sie sehen schlecht aus«, sagte sie. Graciella ist halb Französin, halb Chinesin und absolut umwerfend. Sie trug einen blauen Kimono mit einem goldenen Drachen darauf.
»Hat Cecilia Sie angewiesen, das zu sagen?«
»Wer ist Cecilia? Nein, niemand hat mich angewiesen. Was ist denn passiert, warum haben Sie nicht auf sich geachtet? Sie sind viel zu dünn, und Ihre Haut braucht Pflege. Haben Sie zwei Jahre lang nicht geschlafen, oder was? Sie brauchen das volle Programm, vor allem im Gesicht, und was zum Teufel ist mit Ihren Fingernägeln los, haben Sie die mit dem Messer geschnitten?«
Zuerst versteckte ich mich in einem Dampfbad, das nach Rosen duftete. Dann verpasste mir Graciella eine anderthalbstündige Massage mit heißen Steinen. Als Nächstes kam eine europäische Gesichtsbehandlung mit Fruchtsäure, eine Pediküre mit Fußmassage, und im Friseursalon wurden meine Zöpfe gewaschen und geföhnt.
Ich fuhr nach Hause, ging ins Bett und schlief siebzehn Stunden durch. Nehmen Sie sich ein Beispiel daran, meine Damen.
Das Leben ist zu hart, zu aufreibend und beschissen, um es ohne Wellness zu überstehen. Glauben Sie mir. Wir haben es uns verdient.
16. Kapitel
Ich hatte das Gefühl, zu groß für mein Loft zu sein.
Es kam mir vor, als wäre ich in der Wohnung eines Fremden und liefe dort staunend herum. Alles war kühl und modern, zwischen Hochhäusern eingeklemmt, behängt von der Decke bis zum Boden mit meinen Fotos von verzweifelten, gequälten Menschen.
Ich sah mein kuscheliges Bett und dachte an die Männer, mit denen ich dort gelegen hatte. Sofort raste die Depression wie ein Wirbelsturm auf mich zu. Ich spürte, wie meine Stimmung kippte, als befände sie sich in einer Achterbahn.
Ich ging in die Bar um die Ecke, was mein erster Fehler war.
Bevor ich aufbrach, schlüpfte ich in meinen neuen weißen BH mit den schwarzen Kreisen und in den dazu passenden Tanga. Ich zwängte mich in einen kurzen schwarzen Rock, sexy Highheels und ein hautenges, ärmelloses rotes Oberteil. Ich verabscheute mich.
Meine Zöpfe band ich zu einem Pferdeschwanz und trug einen zu meinem Oberteil passenden Lippenstift auf. Ich verabscheute mich noch mehr.
Ich ziehe Männer magisch an. Das ist keine Angeberei, sondern eine Tatsache. Dank Grandma habe ich einen guten Körperbau, außerdem bin ich schlank. Ich weiß, wie man sich kleidet, und ich habe lange Zöpfe, üppige Lippen und Katzenaugen. Männer schwirren um mich herum. Sie haben keine
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