Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
und das friedvolle Foto ihrer Therapeutin zu leihen. »Ruh dich in deinem Loft aus, Isi. Wir kommen schon zurecht.«
Ich wurde kratzbürstig. Sie ebenfalls.
Ich gab nach, setzte mich in meinen Porsche und fuhr nach Portland.
Ich fuhr am Columbia River entlang. Je mehr Meilen ich zwischen mich und Trillium River brachte, desto unwohler und einsamer fühlte ich mich. Einsam und allein. Ich bin an diese Gefühle gewöhnt, hatte sie aber seit meiner Ankunft in Trillium River nicht mehr so stark empfunden.
Ich versuchte, nicht an diesen Schmerz zu denken. Trillium River oder mein Leben dort zu vermissen, stand nicht auf meinem Plan.
Genauso wenig wie gewürgt zu werden oder die Fresse poliert zu bekommen.
Wie gut, dass wir nicht wissen, was auf uns zukommt, sonst würden wir das Bett nie verlassen.
Wir hatten uns geeinigt, dass ich auf dem Weg zu meinem Loft bei Momma im Seniorenzentrum vorbeischauen würde. Ich hatte mich vorher angemeldet. Bei meiner Ankunft trug sie ihren rosa Morgenmantel und den Schal, lag mit dem Kopf auf den Kissen. Sie stöhnte wie ein Weltmeister, und ich bekam dieselben Beschwerden wie immer zu hören.
»Ich werde immer kränker.«
»Mit mir stimmt etwas nicht.«
»Ich kann mich kaum bewegen. Mir tut alles weh, als würde ich von innen aufgefressen.«
»Ich fühle mich, als würde ich sterben. Ich sterbe.«
Anfangs hatten mich diese Bemerkungen alarmiert, zumindest leicht. Daher hatte ich mich mit der Leiterin des Zentrums unterhalten, einer Sinda Phillips. Sie war halb Mexikanerin, halb Asiatin. Und einsachtzig groß.
Als Momma Sinda kennenlernte, hatte sie zu ihr gesagt: »Sie sind eine braune Riesin mit Katzenaugen.«
Sinda hatte gelacht.
Ich wäre fast gestorben.
»Hier wird es bestimmt furchtbar.« Momma hatte ihr glockenförmiges Haar zurückgeworfen. »Ich will hier nicht sein. Ich fühle mich wie eine Gefangene. Meine Töchter haben mich gezwungen. Ich wurde gezwungen.« Sie hatte geschnieft.
»Es tut mir leid, dass Sie das so empfinden, Mrs Bommarito«, hatte Sinda mit ihrer melodischen Stimme freundlich geantwortet. »Ich glaube, es wird Ihnen doch noch gefallen.«
»So weit wird es nicht kommen, junge Dame.«
Von da an war das Gespräch bergab gegangen, während Momma ihre Beschwerden auflistete, ähnlich wie ein Gokart, das ungebremst einen Hang hinabschießt.
»Und wie geht es meiner lieben Mutter?«, hatte ich Sinda gefragt, nachdem Momma etwa zehn Tage dort wohnte.
»Ihre Mutter ist … wie soll ich sagen?«, hatte Sinda überlegt und die Hände vors Gesicht geschlagen.
»Sie brauchen nichts zu beschönigen. Spucken Sie’s einfach aus.«
Sinda hatte gelacht. »Das Zimmer gefällt ihr nicht. Zu klein.«
»Zu klein, zu schmutzig, zu hell …« Ich hob kapitulierend die Hände.
»Sie hat etwas gegen all das Reden und Lachen.«
»Ja, das könnte ein Problem sein. Vor allem das Lachen.«
»Sie kann es nicht leiden, mit anderen im Speisesaal zu essen. Ist ihr zu laut.«
»Lärm, Krach, Radau«, hatte ich geseufzt.
»Aber das größte Problem ist, dass man auf sie zugetreten ist und sie eingeladen hat, an Ausflügen teilzunehmen. Zu den Wasserfällen. Ins Einkaufszentrum. Zum Übernachten am Strand. Zum Picknick. Ins Museum. Zu viele Einladungen.«
»Wie schade für meine Mutter«, hatte ich gebrummt.
»Doch dann ist ein Wunder geschehen.« Sinda reckte beide Zeigefinger zum Sieg empor.
»Ein Wunder?«
»Ihre Mutter hat einen der Ausflüge zum Einkaufszentrum mitgemacht. Sie hat sich zwei Blusen gekauft. Eine weiße und eine blaue.«
»Gut.«
»Am nächsten Tag hat sie am Picknick teilgenommen. Sie wurde ein bisschen betrunken von dem Wodka, den der alte Mr Ricker in Thermosflaschen einschmuggelt.«
Ich hatte mir Momma, die Giftnatter, betrunken vorzustellen versucht. Es war mir nicht gelungen.
»Sie hat mit den Bewohnern getanzt.«
Ich zuckte zusammen. »Getanzt?«
»Ihre Momma hat alle überredet, aufzustehen, sich Partner zu suchen und Walzer zu tanzen. Sie waren begeistert. Dann hat sie noch mehr Wodka getrunken. Andere haben sich ebenfalls an Mr Rickers Spende bedient.«
Ich musste lachen.
»Dann hat sie beschlossen, bei der Frauenlesegruppe mitzumachen und dem Schachclub beizutreten«, verkündete Sinda stolz. »Ihre Mutter ist eine hervorragende Schachspielerin.«
Mommas Vater hatte ihr das Schachspielen beigebracht, bevor er von der Klippe purzelte, aber ich hatte sie nur selten spielen sehen. »Tu so, als wolltest du deinen Gegner
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