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Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)

Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)

Titel: Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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er mir ein Schlaflied vorsang. Wenn er glaubte, ich sei eingeschlafen, ging er selbst ins Bett, aber erst nachdem er sich vergewissert hatte, dass Cecilia oder Janie bei mir lagen.
    »Ich hab dich lieb, Schwester Isi«, sagte er tausendmal mit zitterndem Kinn.
    »Ich hab dich lieb, Bruder Henry.«
    Das war Henry pur: der Mann liebte einfach. Er liebte die Menschen bedingungslos, unschuldig, aus ganzem Herzen. Er kannte keine Voraussetzungen, Manipulationen, Einschränkungen, Argumentationen, Vorspiegelungen, Konkurrenzdenken. Seine Liebe war rein und unvergänglich.
    Er klagte stärker über Bauchschmerzen, und ich wusste, dass es daran lag, wie verstört er war.
    Das hatte ich ihm angetan. Ich hatte das meinem Bruder angetan.

    Am dritten Tag kochten Grandmas angeborener Mut, Schneid und Zorn über. »Ich bring den Drecksack mit meinem Flugzeug um!«, brüllte sie immer wieder. »Genau das tu ich!«
    Ungefähr fünfmal am Tag gab sie mir rosa Zettel. »Das ist das Messer, das ich benutzen werde!«
    Auf den Zettel war ein sehr unglückliches Gesicht gemalt.
    »Vielen Dank, Amelia.«
    »Das ist die Pistole!«
    Noch ein unglückliches Gesicht.
    »Er hat es verdient zu sterben!«, schrie sie. »Dieser Drecksack! Er ist schuld an Ihrer Bruchlandung!«
    Manchmal veränderte sich ihr Ausdruck für Sekunden, und ihr altes Selbst schimmerte durch. »Ich hab dich lieb.« Vorsichtig umschloss sie mein geschundenes Gesicht mit den Händen. »Ich hab dich lieb.«
    Ich umarmte sie, ihr kleiner Körper war so winzig in meinen Armen.
    »Ich muss jetzt los!«, verkündete sie. »Ich starte im Morgengrauen, um den Drecksack zu finden!« Dann lief sie hinauf in den Turm.
    Ich trank ein Glas von Velvets Limonade, die sie mir regelmäßig zubereitete.
    »Vergiss nicht, das Rezept ist von meiner Mutter, Liebchen. Als sie arm war, mussten sie manchmal Opossum essen, und dazu gab es immer Limonade, aus Familientradition. Starkes Gebräu, aber es überdeckt den Opossumgeschmack.«
    Wieder mal war Velvets Limonade so sauer, dass es einem die Zehennägel aufrollte.

    Die schaurigen Albträume kamen nachts und sogar tagsüber. Russ Bington jagte mich, kicherte, lachte. Er schlang mir seinen Gürtel um den Hals und zog zu. Eine Fledermaus flog mir aus dem Mund, eine Schlange wand sich hinein.
    Er kicherte.
    In meinen Träumen bekam ich keine Luft. Der Typ nahm den Meerjungfrauen-Tisch, den Cassandra mir geschenkt hatte, bevor sie von dem Hochhaus in Portland gesprungen war, und zertrümmerte ihn auf meinem Kopf. Die Meerjungfrauen versuchten mich zu beschützen, aber er biss mir trotzdem in den Hals.
    Wenn ich spürte, dass ich starb, wachte ich schreiend auf, verschwitzt und gelähmt vor Furcht.
    Janie schlief nachts bei mir, nachdem sie eine Stunde lang gestickt hatte. Mein Geschrei weckte sie, und sie fiel ein, was dann Grandma auf den Plan rief, die brüllte: »Mein Motor brennt! Mein Motor brennt!« Henry brabbelte: »Momma, Momma, Momma« und versteckte sich dann im Schrank.
    Velvet kam mit wehendem Flanellnachthemd in mein Schlafzimmer gerannt. »Du meine Güte … du meine Güte …«
    Wir stolperten in Grandmas und Henrys Zimmer und trösteten die beiden. Ein paarmal hatte einer von ihnen vor Schreck ins Bett gemacht, oder es war sogar beiden passiert, so dass wir sie sauber machen, die Laken abziehen, neue aufziehen und mit Henry den allabendlichen Ablauf wiederholen mussten, der aus Milch, einer Geschichte, einer Rückenmassage, einer Umarmung und dem Zudecken bestand.
    Wir gingen alle auf dem Zahnfleisch.

    Eines Morgens fand ich Henry neben mir im Bett, seine Hand um meine geschlungen. Auf dem Nachttisch stand ein Glas Orangensaft. Henry trank nie Orangensaft. Dass er ein Glas mit Orangensaft überhaupt angefasst hatte, war das erste Mal seit zwanzig Jahren.
    Als er Orangensaft zum letzten Mal getrunken hatte, war er über beide Ohren mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt worden und hatte sich schließlich vor zwei jugendlichen Straftätern auf einem Baum versteckt.
    Ich betrachtete sein liebes Gesicht, die braunen Wimpern, die sich über den Wangen bogen. Ich fuhr mit den Fingern durch seine braunen Locken.
    Er hatte unglaublich viele Traumata überlebt. Er hatte wieder zu lachen gelernt, fröhlich zu sein, zu vertrauen, voller Mut und Begeisterung zu leben.
    Würde ich das auch schaffen?
    Würde ich das können?

    Sie war wie eine Nonne gekleidet.
    Kayla trug den Kopf hoch erhoben, während sie ehrfürchtig das große Holzkreuz

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