Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
an. Und rede mit deiner Therapeutin.«
»Ich mag sie aber nicht«, jammerte Riley.
Janie legte den Kopf schräg. »Eine meiner Therapeutinnen sprach mit Geistern, die angeblich um uns herum saßen. Ich bin trotzdem hingegangen.«
Riley hatte sich zweimal geweigert, mit Psychologen zu sprechen, und das dritte Mal war sie davongerannt. Das mit dem Weglaufen und Verstecken war ebenfalls eine Familienkrankheit, genau wie das Verstecken in Wandschränken.
»Warum bist du zur Therapie gegangen?«, fragte Riley.
»Weil ich dachte, ich würde verrückt werden. Meine jetzige Therapeutin verehre ich aber. Sie ist so beruhigend und heiter wie ein Regenbogen, und sie gibt mir nicht das Gefühl, ein Studienobjekt zu sein. Ich habe bestimmte Probleme, und sie versucht, mir zu helfen, mich zu mögen.«
»Magst du dich denn nicht, Tante Janie?«, fragte Kayla. »Der Allmächtige hat dich gesegnet. Du bist eine Bestsellerautorin und hast einen coolen Porsche und ein Hausboot.«
Janie dachte darüber nach. »Das sind nur materielle Werte, Kayla. Die machen dich nicht glücklich, aber ich mag mich lieber, seit wir in Trillium River sind. Ich habe sogar mein Hausboot verlassen. Das ist für mich nicht leicht, manchmal habe ich das Gefühl, keine Luft zu bekommen, und dann muss ich mich hinten in der Bäckerei verstecken und zählen oder klopfen. Aber ich wage es immerhin. Ich glaube, mir wird ein wenig kosmischer Friede zuteil. Außerdem habe ich euch beide. Ich liebe euch so sehr.«
»Vielleicht könnte deine Therapeutin mir auch was von dem kosmischen Frieden abgeben?«, fragte Riley.
Janie schenkte ihr ein Lächeln. »Ich rufe sie an! Hej! Wir könnten zusammen seelenklempnern!«
»Und ich hole dir einen Cupcake«, sagte ich und küsste Riley auf die Wange. »Schokolade, stimmt’s? Mit Raspeln?«
Riley nickte und wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Ja. Cool.«
»Ich hätte gern den Cupcake mit den Katzen«, sagte Kayla. »Und mach dir keine Sorgen, Riley. Ich hab schon sechs Mädchen verprügelt, die sich über dich lustig gemacht haben, und nehm es auch noch mit anderen auf.«
»Ja, ich weiß, Kayla.« Riley fuhr sich mit den Fäusten über die Augen. »Danke.«
»Keine Ursache. Ich prügel mich gern. Ich bin gut im Boxen. Gott hat mich zu einer Kämpferin gemacht. Friede sei mit euch allen«, sagte Kayla.
Friede sei mit euch beiden Mädchen , dachte ich. Bommarito-Frauen haben es nie leicht im Leben.
Bao hatte nicht gut auf mein geschundenes Gesicht reagiert.
Er hatte mir mehrfach Essen gebracht, während ich zu Hause war, aber wir hatten einander nicht gesehen. Seine Gerichte waren asiatische Kunstwerke. Einmal hatte er ein kleines Haus aus Nudeln geformt, ein andermal eine dreidimensionale Kreation aus kleingehacktem Gemüse geschaffen, eigentlich viel zu schön zum Essen.
Baos Gesichtsausdruck verwandelte sich von Entzücken, mich wieder in der Bäckerei zu sehen, zu blankem Entsetzen.
»Ich verstehe nicht …«, sagte er mit heiserer Stimme. »Dein Gesicht … Ah, Isabelle, Isabelle …«
»Mir geht es gut, Bao. Mir geht es gut. Mach dir bitte keine Sorgen.«
»O Isabelle …« Tränen traten ihm in die Augen, und seine Miene erstarrte. »War das ein Schuss?«
»Bao?«, sagte ich.
Er blinzelte nicht. Sein Mund öffnete sich ein wenig, er war plötzlich wie vor Angst gelähmt, als befände er sich mitten in einem Horrorfilm. »Das war ein Schuss.«
»Bao!«, sagte ich, jetzt lauter. »Bao!«
»Attacke! Attacke!« Er rührte sich nicht, aber sein Mund schloss sich, öffnete sich wieder, und er gab leise, stöhnende Geräusche von sich, während seine Blicke hin und her schossen.
Ich packte ihn am Arm, als er auf Vietnamesisch zu stammeln begann.
Das war ein Fehler. Sofort ging er in Deckung, fuhr die Ellbogen aus, Hände in Karatehaltung. Wieder sprach er abgehackt und schnell. Er kauerte sich zusammen.
Ich ließ ihn los und hob kapitulierend die Hände.
Er stieß ein paar scharfe Befehle auf Vietnamesisch aus und warf sich auf den Bauch.
»Bao«, sagte ich sanft. »Ich bin’s, Isabelle. Du bist nicht in Vietnam. Bao …«
Eine Träne lief an seiner Nase entlang und tropfte von seinem Kinn. Plötzlich rappelte er sich hoch, die Hände in Abwehrstellung, und humpelte hinaus.
Ich sah sein Profil, als er am Schaufenster vorbeihinkte, mit geöffnetem Mund und aufgerissenen Augen, ein Ausdruck schierer Angst. Ich lief ihm nach, so schnell ich konnte, was allerdings nicht sehr schnell
Weitere Kostenlose Bücher