Rosas Vermaechtnis
Feierabend, willst du nicht zum Essen bleiben?«, fragte sie unverfänglich. »Marie hat schon einen Braten im Ofen und der reicht, wie ich sie kenne, sicher bestimmt für mindestens vier Personen, oder, Marie? Und einen zusätzlichen Kritiker können wir außerdem gut gebrauchen.«
»Das ist eine gute Idee. Ich freue mich, wenn Sie zum Essen bleiben, Herr Hauptkommissar.«
Der Rinderbraten in Rotweinsauce war ein Gedicht, sogar Marie, die immer sehr kritisch mit sich selbst war, räumte das ein. Der Geschmack war kräftig und zart zugleich, und erst die Klöße ... Jan rollte genießerisch mit den Augen, nachdem er seine Gabel zum Mund geführt hatte. Die Klöße, die so leicht und locker schmeckten und mit der Bratensoße zusammen im Mund zu einem Geschmackserlebnis führten, das ihn an früher erinnerte, waren für ihn das Beste von allem.
»Wunderbar!« Er schob den Teller mit leisem Stöhnen von sich, nachdem er noch einmal und dann tatsächlich noch ein drittes Mal nachgenommen hatte. »Sogar der Wildkräutersalat hat mir richtig gut geschmeckt, obwohl ich Grünzeug sonst meide, wo ich kann.« Er lachte verlegen. Dann hob er sein Rotweinglas und prostete Marie zu. »Sie sind eine wunderbare Köchin, Frau Sander, und eine sehr reizvolle dazu.«
Marie errötete wie ein junges Mädchen und hob ebenfalls ihr Glas.
»Wie wäre es, wenn wir das ganze Procedere abkürzen und ihr euch jetzt schon duzt?«, feixte Alexandra trocken, was ihr von beiden Seiten einen strafenden Blick eintrug. Einen Augenblick sagte niemand etwas, dann lachten alle drei auf einmal.
»Also los, jetzt wird Brüderschaft getrunken«, beharrte sie auf der üblichen Vorgehensweise, nachdem Jan und Marie lediglich noch einmal ihr Glas hoben, um ihr Einverständnis zu bekunden. Ein wenig vorgeführt kamen sie sich schon vor, als sie sich jetzt unterhakten, die Gläser klingen ließen und sich einen schüchternen Kuss auf den Mund gaben.
»Na also«, Alexandra lehnte sich zufrieden in ihrem Stuhl zurück, »jetzt sind wir wenigstens alle beim Du, ist doch viel praktischer so. Und außerdem ...«
»Erspare uns jeden weiteren Kommentar«, fiel Marie ihr warnend ins Wort und goss allen noch einen Schluck Wein nach. »Ein Gästezimmer haben wir übrigens auch, Jan. Und auch eine unbenutzte Zahnbürste. Es ist bestimmt besser, wenn du heute hierbleibst.«
In dieser Nacht lag er noch lange wach und starrte in die Dunkelheit. Marie erging es ebenso. Beide waren erfahren genug, diese innere Unruhe richtig zu deuten, die sie erschreckte und zugleich beflügelte.
Dass Jan mit seinen Befürchtungen, das Album stelle eine Gefahr für sie beide dar, wirklich recht behalten könnte, wäre beiden Freundinnen nicht ernsthaft in den Sinn gekommen, bis ein gewisser Herr Johannsen unter dem fadenscheinigen Grund, sich in ihrem Weinhandel umzusehen, zwei Tage später vor der Tür stand. Auf der Auktion in Hamburg hatte er sich bereits interessiert gezeigt und es bestand zwischen den Zeilen überhaupt kein Zweifel daran, dass Johannsen in erster Linie hinter dem Kräuterschnaps-Rezept her war. Die beiden Frauen fragten sich, wer noch alles davon wusste und dazu bereit sein könnte, die Spur bis zu ihnen heraus zu verfolgen. Nachdem Johannsen sich endlich unverrichteter Dinge und triefend freundlich verabschiedet hatte – nicht ohne eine baldige Wiederholung seines Besuches anzukündigen, wie er in einem fast drohenden Tonfall hinzufügte –, wussten sie, dass das Album tatsächlich am besten in Jans Büro aufgehoben sein würde.
Seit der Mann bei ihnen aufgetaucht war, wurden die Nächte aus Angst vor einem Einbruch unruhig. Viermal trafen sich Alexandra und Marie in den ganz frühen Morgenstunden in der Küche, weil sie es im Bett nicht mehr aushielten und auch nicht schlafen konnten, bis Marie seufzend feststellte, dass der nächtliche Kakaokonsum sich langsam auf ihren Hüften niederschlug und die Tage, die auf diese Nächte folgten, sich endlos und pelzig anfühlten.
Alexandra litt unter Alpträumen. Immer wieder sah sie Balduin Hafner vor sich, der versuchte, ihr mit schmerzverzerrtem Gesicht etwas zu sagen, bevor er starb, sah sich mit ihm in seiner Wohnung, in der er unter den Papierbergen verzweifelt nach einem Brief suchte, den er ihr geschrieben hatte, weil er nicht sprechen konnte, sah seinen eindringlichen Blick, der um Hilfe bat, bis sie es nicht mehr aushielt und wieder damit begann, vor dem Zubettgehen von ihren Tranquilizern zu
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