Rosas Vermaechtnis
nehmen.
»Das kann nicht dein Ernst sein!« Marie war außer sich, als sie Alexandras verschleierte Augen sah. »Wie alt bist du eigentlich, dass du es nicht schaffst, dieses Zeug endlich in die Tonne zu schmeißen?«
Alexandra winkte müde ab. »Lass gut sein, Marie, ich habe keine Lust, mich mit dir zu streiten. Du weißt ja nicht, was ich jede Nacht durchmache. Ich habe Albträume, Hafner versucht mir etwas zu sagen, aber ich kann ihn nicht verstehen. Das geht jetzt schon seit ein paar Nächten hintereinander so. Wenn ich also das Zeug nicht nehme, komme ich gar nicht in den Schlaf.«
»Wir müssen diesen blöden Fall endlich lösen, sonst gehen wir beide vor die Hunde.« Marie war richtig wütend geworden. »Jan sieht das genauso, aber irgendwie treten wir alle auf der Stelle.«
Die Gefahr, der sie sich ausgesetzt fühlten und die sie permanent ängstigte, führte schließlich zu einer resignierten Akzeptanz.
»Et kütt, wie et kütt«, griff Alexandra die rheinische Überzeugung auf, es kam eben halt wirklich, wie es kommen sollte, und dann konnte man immer noch schauen.
So kehrte also wieder Ruhe auf dem Weinhof ein, wenn es auch eine trügerische war.
Als Marie und Alexandra am späten Freitagabend von ihrem Kinoabend zurückkehrten, den sie so lange schon aufgeschoben hatten, stand die Eingangstür zum Gewölbekeller sperrangelweit offen. Der Schreck durchfuhr sie wie ein Blitz und machte sie für einen Moment bewegungsunfähig. Alexandra spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug, als sie jetzt langsam vor Marie das Geschäft betrat und mit zitternden Fingern nach dem Lichtschalter tastete. Marie schnappte nach Luft, als sie die Verwüstung sah, und suchte einen festen Halt, weil sie fürchtete, dass ihr im nächsten Moment die Beine wegsackten. Alexandras Atem ging stoßweise. Der Boden war mit Scherben übersät, Rot- und Weißweinlachen hatten sich zu einem Fluss zusammengetan und am abschüssigen Ende des Raumes einen See gebildet. Die zu Regalen gestapelten Tonröhren, in denen die Flaschen gelagert waren, lagen – zum großen Teil zerbrochen – auf dem Boden und auf dem alten Tisch, der derbe Vertiefungen und Einschnitte davongetragen hatte. In der Küche lagen die Töpfe herum, Maries liebevoll arrangiertes Kräuterbeet war zerfetzt und verstreut worden, überall trat man auf Scherben, was ein hässliches, knirschendes Geräusch unter den Sohlen verursachte.
Alexandra und Marie sahen sich mit weit aufgerissenen Augen an, machten auf dem Absatz kehrt und stürzten in Maries Wohnung, weil dies die nächstgelegene war. Chaos auch hier, alles war durchwühlt, die Sofakissen aufgeschlitzt und die Füllung herausgerissen, die wie Schnee durch die Wohnung flog, als sie die Tür öffnete. Bei Alexandra sah es ähnlich furchtbar aus, was sie zuerst einmal nur stoisch registrierte, weil ihre Sorge in erster Linie der Katze galt.
»Mia, Miachen, wo bist du? Ist dir etwas passiert? Ich werde wahnsinnig, wenn man dir etwas angetan hat.«
»Sie wird das Weite gesucht haben«, beschwichtigte Marie, als sie die Panik in Alexandras Augen bemerkte, als sie plötzlich ein leidvolles Jammern hörten, das aus der Küche zu kommen schien. Von schlimmen Vorahnungen geplagt, rannte Alexandra dorthin, wo sie sich – ungeachtet der auch hier verstreut herumliegenden Scherben – sofort auf die Knie fallen ließ und sich dann flach auf den Boden legte, um unter die Anrichte schauen zu können. Und da kauerte ihr Kätzchen, verängstigt und panisch.
»Sie kommt da nicht mehr raus«, erkannte sie mit einem Blick. »Weiß der Himmel, wie sie es geschafft hat, sich durch diese Lücke zu quetschen, eigentlich geht das überhaupt nicht.« Alexandra richtete sich wieder auf. »Komm, Marie, wir müssen den Schrank anheben, damit sie raus kann. Hoffentlich ist sie nicht verletzt.«
Als das Tier die Entlastung spürte, machte es einen Satz aus der Ecke heraus und flüchtete humpelnd unter die zerstörte Couch im Wohnzimmer. Wieder ging Alexandra auf die Knie, streckte eine Hand aus und bekam diesmal Mia in der Mitte zu fassen. Liebevoll sprach sie auf sie ein und schob die widerstrebende Katze Zentimeter um Zentimeter zu sich heran, bis sie sie endlich mit beiden Händen umfassen konnte. Dann blieb sie einfach auf dem Boden sitzen und streichelte das zitternde Tier, wobei ihr die Tränen über die Wangen liefen. Marie kauerte sich dazu, streichelte Mias Kopf, und auch bei ihr öffneten sich jetzt die Schleusen, die das
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