Rosas Vermaechtnis
Köchin selbst in Aktion, wie sie am Herd stand. Den Einband allein konnte man als ein vom Jugendstil inspiriertes Kunstwerk bezeichnen, das eine Küchenszene darstellte. Rosa Göttner schien viele Talente gehabt zu haben. Langsam blätterte Marie Seite für Seite um, und Seite um Seite stieg sowohl ihre als auch Alexandras Achtung vor einer für die damalige Zeit sehr ungewöhnlichen Frau. In Sammlerkreisen war dieses Fotoalbum sicher einiges wert, aber das war unwichtig. Von den erhofften Kochrezepten fehlte jedoch jede Spur.
Anhand dessen, was Alexandra und Marie inzwischen über die Köchin wussten, und anhand der Bilder, die die Köchin bei der Arbeit zeigten, konnten die beiden Freundinnen sich allerdings gut vorstellen, dass Rosa Göttner eine wirkliche Wegbereiterin gewesen war. Hier hackte sie ungewöhnliche Mengen von frischen Kräutern, dort bereitete sie eine schaumig aussehende Süßspeise und dort stürzte ein frisch gebackenes Brot aus der Form. Dabei unterschieden sich die Ergebnisse dem Augenschein nach kaum von denen einer heutigen bodenständigen Küche.
»Tja, alte Bilder hin oder her – ein wertvolles Kochbuch ist das trotz allem nicht. Meinst du, es gibt überhaupt eins, Marie? Vielleicht ist das ja alles nur ein Gerücht, das andere für wahr halten.« Alexandra blätterte die Seiten des Albums nachdenklich bis zum Ende um. »Schau mal, Marie, hier auf dem hinteren Buchdeckel ist von innen so etwas wie ein kleiner Schuber, in dem ein paar zusammengefaltete Seiten Papier stecken.« Alexandra griff vorsichtig hinein und zog einige vergilbt aussehende Blätter heraus, die bis auf die erste Seite Zeile an Zeile in Rosa Göttners malerischer Handschrift gehalten waren. Neugierig, aber auch ein wenig verwirrt schauten die beiden Frauen auf die erste Seite, deren verschnörkelte alte Schrift einen offiziellen Charakter zu haben schien.
»Patentübertragung«, buchstabierte Alexandra und fragte sich im gleichen Moment, ob sie sich geirrt hatte. Zögernd faltete sie die fünf verbliebenen Seiten auseinander und plötzlich wusste sie, was dieses Album tatsächlich so wertvoll machte.
»Rosa hat hier ihren eigenen Kräuterschnaps gebrannt«, sagte Marie in die Stille hinein, »und sie überträgt dem Finder das Patent daran.«
»Bei den Glasscherben unten im Keller lag auch so ein gedrehtes Stück, das von einem Destillierkolben stammen könnte«, fiel Alexandra unvermittelt ein, »ich hab's gesehen, aber nicht wirklich wahrgenommen. Ja, Marie«, lachte sie, »es scheint, als wären wir nun doch auf eine Goldader gestoßen.«
Und so war es tatsächlich. Die Patentübertragung war das wirklich Wertvolle gewesen und natürlich die Rezeptur des Kräuterschnapses. Dafür allein lohnte sich die Anschaffung einer Destillieranlage, denn weder Alexandra noch Marie wollten die Zubereitung fremden Händen überlassen. Das Ganze gestaltete sich spannender als gedacht und passte als neue Dimension gut zu ihrem Weinhandel.
4.
Hauptkommissar Jan Berger runzelte die Stirn, als Alexandra ihm das Album zeigte. Er war, nachdem sie ihm am Telefon davon berichtet hatte, gleich aufgebrochen und saß nun neben Marie am Tisch und blätterte mehr oder weniger gedankenverloren die Seiten um. Er sah die beiden Frauen in Gefahr, solange der Fall nicht endgültig gelöst war, und beschwor sie, das Album mit der Patentübertragung an einem sicheren Ort, aber auf keinen Fall im Haus aufzubewahren. Am besten in einem Bankschließfach. Sein Appell wurde von den beiden Freundinnen zu seinem Leidwesen nicht ernst genug genommen und er überlegte, ob er das Album nicht einfach konfiszieren sollte, wenn die beiden so uneinsichtig blieben. Es bereitete ihm jedoch ein wenig Mühe, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, weil ihm eine Wolke von Maries frischem, nach Zitrusfrüchten duftendem Parfüm in die Nase stieg, die ihm jetzt gestenreich die Vorkommnisse des vorherigen Tages schilderte und ihn dabei mit freundlichen Blicken bedachte. Er gestand sich ein, dass er sie schon beim ersten Mal ziemlich attraktiv gefunden hatte, und diesmal erging es ihm nicht anders. Alexandra, die ihren Kollegen gut kannte, interpretierte seine Miene richtig. Für den Bruchteil einer Sekunde flog sie so etwas wie Wehmut an, dann aber nickte sie unmerklich in sich hinein. Es war gut so, wie es war. Marie mit ihrer angeborenen Fröhlichkeit war genau die Art Frau, die Jan gut tat.
»Sag mal, Jan, du hast doch sowieso gleich
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